Das Deutsche als Männersprache
nicht nur absurd, sie ist gefährlich.
Im Dritten Reich machten die Nazis aus Deutschen plötzlich »Deutsche und Juden« (»Deutsche, wehrt euch gegen die Juden !« ). Einige Deutsche waren nun »sprachlich sichtbar« als Juden, abgesetzt von den anderen Deutschen, als ob sie nicht dazugehörten. Und einige Frauen sind jetzt sprachlich sichtbar als Lesben, abgesetzt von den anderen Frauen, als ob sie keine wären.
Der Mensch und seine Frau — wie lange kämpfen wir schon gegen diese unverschämte sprachliche Ausgrenzung des weiblichen Geschlechts. Und nun unterläuft uns fast dasselbe — noch dazu in bester Absicht!
Was ist also zu tun? Erstens müssen wir die Bezeichnung Frauen-und Lesbenreferat schleunigst wieder abschaffen (Frauen sind auch nur Menschen, und Irren ist menschlich!). Zweitens müssen wir eine neue Formulierung finden, die das richtige Gewollte nicht in derart falscher, weil diskriminierender Weise zum Ausdruck bringt.
Ich finde z.B. Feministisches Referat eine passable Lösung. Fe-ministinnen sind sowieso als Lesben verschrien — diesen Umstand könnten wir uns positiv zunutze machen. Schwesternreferat fand ich aus ähnlichen Gründen auch nicht schlecht. Oder vielleicht Frauenfreundinnenreferat ? Dem sprachlich bereits bestens eingebürgerten Frauenfeind träte positiv die Frauenfreundin gegenüber — noch dazu schön doppelsinnig oder breitbandsinnig, so breit wie das Spektrum weiblicher Empfindungen. Ob die Frauenfreundin sich als Freundin im zärtlichsten oder im bloß politischen Sinne verstehen will, bleibt ihr überlassen.
Wißt ihr noch andere, bessere Vorschläge? Und was meint ihr überhaupt zu dem Problem? Eure Meinung würde mich sehr interessieren.
Nachschrift
Irgendwo habe ich gelesen, daß es in Dänemark seinerzeit mit der Aussonderung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis nicht geklappt hat, weil der dänische König ostentativ den Judenstern trug. Nach diesem Vorbild wäre es auch eine Lösung, die Frauenreferate einfach Lesbenreferate zu nennen.
September 1983
Scham und Schande
»Sitz nicht so da, man kann ja deine ganze Schande sehen !« — Eine Schweizerin erzählte mir, daß kleine und auch größere Mädchen in der Schweiz noch heute so angeherrscht werden. Die Schriftstellerin Marlene Stenten berichtet, in ihrer Familiensprache hätte »das« Baba Stink geheißen.
Und welches Wort gab es in meiner Familie »da«für? Gar keins. Es gab nur die schamvoll umschreibenden Ortsangaben. Die neuen Jeans waren vielleicht »im Schritt« zu eng, und »zwischen den Beinen«, »untenrum« oder »da unten« hatten wir uns sauberzuhalten. Auf der anderen Seite sollten wir uns »die Nase« putzen und nicht etwa »in der Gesichtsmitte«. Schlaue und beängstigende Folgerung schon früh, bevor wir es dann endgültig erfuhren: »Zwischen den Beinen«, da war etwas Widerliches, zu widerlich, um es auch nur auszusprechen.
Dann kam der Biologieunterricht. Die äußeren Geschlechtsteile der Frau (also unsere) hießen: Scham (aha!) — mit folgenden Schamteilen: Schamhaar, Schamhügel, große Schamlippen, kleine Schamlippen. Für den Mann hörte das Schämen schon beim Schamhaar auf. Der Rest hieß nicht etwa Schamstengel und Schambeutel, sondern Glied und Hoden.
Der nächste Lernschritt war, daß das Besitzen einer »Scham« fast automatisch die »Schande« nach sich zog, wenn wir nicht höllisch aufpaßten, denn junge Mädchen konnten »geschändet« werden von »Sittenstrolchen« oder »entehrt« von ehrbaren Männern. Und unsere »Ehre« hing paradoxerweise direkt mit unserer »Scham« zusammen.
Eine schwierige Sprache, schwer zu begreifen. Da gab es einerseits den Film »Susi und Strolch« mit einem ganz süßen Strolch, anderseits die Sittenstrolche. Und wenn die Sittenstrolche uns »mißbrauchten«, dann waren wir geschändet, nicht sie. Und die ehrbaren Männer »entehrten« uns durch selbigen Mißbrauch, nicht sich selbst. Anscheinend waren wir mitsamt unserer »Scham« ein Genußmittel wie Alkohol oder Nikotin. Nur daß der Alkoholmißbrauch die Mißbrauchenden selbst in Schimpf und Schande brachte, doch nicht den Alkohol!
Eine Sprache von Verrückten, geeignet, selbst die Vernünftigste verrückt zu machen. Es wird Zeit, daß wir die Sprach- und Machthaber nicht mehr alleine werkeln lassen. Venus steigt auf den Venushügel und lächelt mit ihren süßen Venuslippen: »Scham — wat is dat denn? Ach so, Sie meinen Charme !«
April 1983
Wir leben im
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