Das Diamantenmädchen (German Edition)
halber. Die Jungens tobten um sie herum, warfen ihre schmalen, sehnigen Körper ins Wasser, rangen miteinander, immer mit einem Auge auf Liese, die sie mit spöttischen Bemerkungen anfeuerte. Lilli tat ein bisschen mit, aber verlor bald die Lust und schwamm mit kräftigen, wütenden Zügen ein ganzes Stück hinaus, um ihren Ärger loszuwerden. Als sie zurückkam, hatten sich alle drei schon in der Schilflichtung auf die Decken gelegt. Während Lilli sich oberflächlich abtrocknete, betrachtete sie Paul und Wilhelm. Sie lagen zu beiden Seiten Lieses, wie Lilli sofort bemerkte. Pauls dunkles Haar war noch feucht und ganz durcheinander. Sein brauner, schmaler Rücken würde sich bestimmt ganz sonnenheiß anfühlen, dachte sie für sich und schämte sich gleichzeitig für diesen Gedanken. Wilhelm hatte sich auf den Rücken gedreht. Er hatte die Augen gegen die Sonne geschlossen und einen Grashalm im Mund. Zum ersten Mal sah Lilli ihn nicht als Schwester, sondern wie durch Lieses Augen. Ein kühnes Gesicht hat er, dachte sie, ein bisschen wie ein Indianer, kühn und schön. Eine blonde Strähne fiel ihm in die Stirn, er war vom langen Sommer braun gebrannt, und seine Schultern waren schon nicht mehr die eckigen eines Knaben, sondern begannen bereits rund und stark zu werden. Sie legte sich nicht neben die drei, sondern setzte sich im Schneidersitz etwas abseits. Von der anderen Seite des Sees klang das ausgelassene Treiben der Badegäste herüber. Eine ganz leichte Brise ging raschelnd durch das Schilf. Ab und zu schnalzte ein Fisch aus dem Wasser. Lilli sah, wie Wilhelm seine Hand sachte und ohne die Augen zu öffnen auf Lieses Hand legte. Sie drehte ihre um, als hätte sie das erwartet und umfasste seine. Aber dann tat sie etwas, was Lilli die Zähne zusammenbeißen ließ. Sie schob ihre linke Hand so zu Paul hinüber, dass sie seine wie zufällig berührte. Lilli sah, wie Pauls Hand bei der Berührung zuckte, aber natürlich zog er sie nicht zurück.
Dieses Biest, dachte Lilli in einem heißen Aufwallen von Wut, dieses kleine widerliche Biest! Sie wusste nicht, was sie tun sollte, saß da und sah in hilfloser Eifersucht, wie die drei miteinander verbunden waren.
Später, nachdem sie die Stullen und die ersten Augustäpfel aus dem Korb gegessen hatten, wobei Lilli äußerst heftig alles abgelehnt hatte, obwohl sie durchaus hungrig war, gingen die beiden Jungen noch einmal ins Wasser. Sie blieben nahe beim Ufer, und es war deutlich zu sehen, dass alle Hechtsprünge, alles Ringen, alle kleinen Wettschwimmen nur darauf angelegt waren, Lieses Bewunderung zu wecken. Lilli hatte sich einen Weidenzweig abgebrochen und senste mit peitschenden Bewegungen das Schilf ringsherum ab. Liese dagegen lag, das Kinn in die Hände gestützt, auf der Decke, sah Wilhelm und Paul zu und rief ab und zu träge eine Aufmunterung oder ein spöttisches Wort hinüber.
»Wer von euch kann eigentlich länger tauchen?«, rief sie schließlich, als beide eben um die Wette ans Ufer gekrault waren und herauskommen wollten. O ja, dachte Lilli mit beißendem Spott, die Kaiserin Messalina will nicht, dass die Gladiatorenspiele enden. Gott, sind Jungens blöd. Sie hasste Paul gerade, vielleicht noch mehr als ihren Bruder, den sie eigentlich vor allem verachtete, weil er auf diese Ziege hereinfiel.
Paul und Wilhelm waren etwas ins tiefere Wasser zurückgewatet und atmeten tief, um sich für den Tauchgang vorzubereiten. Liese zählte mit schleppender Stimme, die sie wohl für verrucht hielt, langsam auf zehn. Ein dunkler und ein blonder Kopf verschwanden gleichzeitig und lautlos im Wasser. Obwohl Lilli sich ärgerte, zählte sie im Stillen die Sekunden mit. Als sie bei dreiundneunzig war, tauchte Wilhelm auf, prustend, keuchend und schnaubend. Liese war enttäuscht.
»Schade«, rief sie spöttisch, »ich dachte, du würdest gewinnen!«
Wilhelm zuckte leicht beleidigt mit den Schultern und begann zum Ufer zu waten, als Lilli bei hundertzwanzig und Paul immer noch nicht aufgetaucht war.
»Wilhelm!«, rief sie beunruhigt. »Schau mal!«
Wilhelm drehte sich um, aber viel zu langsam, und plötzlich schoss die Angst in Lilli hoch, und sie sprang auf und rannte ins Wasser. Wilhelm, von Lillis Panik angesteckt, sah sich nach Paul um. In einem Augenblick war Lilli bei ihm und schrie ihn an:
»Wo ist er?«
Wilhelm und Lilli tauchten beide dort, wo sie Paul vermuteten. Das Wasser war vom Laufen etwas trüb, aber Lilli sah Paul sofort. Zwei Meter weiter lag er
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