Das Diamantenmädchen (German Edition)
Lilli sah sehr genau, wie sein von der Anstrengung heißes Jungengesicht manchmal von dem Matrosenkragen von Lieses Kleid gestreift wurde. Es stand ihr ausgezeichnet – Liese hatte, wie Lilli nach den langen Ferien, in denen sie sich nicht gesehen hatten, neidisch bemerkte, mittlerweile einen richtigen kleinen Busen bekommen, während sich bei ihr von zwei zarten Erhebungen abgesehen, die man mit bloßem Auge kaum wahrnehmen konnte, nichts tat. Kein Wunder, dass Paul sie auf die Lenkstange genommen hatte, dachte Lilli höchst ungerecht, denn Liese hatte kein Fahrrad, und auf irgendjemandes Lenkstange musste sie ja schließlich sitzen.
Wilhelm fuhr voran. Sein blondes Haar leuchtete in der Septembersonne. Sie waren jetzt im Wald, und es wurde etwas kühler. Auch er sah sich ab und zu nach Paul und Liese um. Durch die Bäume konnte man schon das Blau des Schlachtensees schimmern sehen. Lillis leichtes Sommerkleid flatterte ihr um die Beine. Es war ein angenehmes Gefühl. Eigentlich war es zu kurz, wie Mama fand. Es ging ihr nur über die Knie und Mama sagte, sie sei jetzt kein Kind mehr. Einerseits machte sie das stolz, andererseits war an einem Tag wie diesem ein langes Kleid so unpraktisch und so warm. Und sie würde es am See ja sowieso ausziehen. Im Strandbad waren Jungens und Mädchen getrennt, aber als Zehlendorfer fuhren sie sowieso nie dorthin, wo die Leute aus Mitte hingingen. Im Strandbad war auch das Eis viel zu teuer, und die paar Groschen, die sie dabei hatten, hätten dann nie für alle vier gereicht. Und dann war es im Schilf am Westufer des Sees viel stiller, denn dazu musste man um den See herum, und das taten die wenigsten. Auf der Uferpromenade, in die sie jetzt einbogen, war unglaublich viel Betrieb. Es wogte nur so von Strohhüten; weibliche, männliche und Kinderausführungen mit Bändern in allen Farben. Sonnenschirme wuchsen wie weiß leuchtende Pilze aus der Menge. Überhaupt war auf der Promenade fast alles weiß – die Kleider der Damen, die Leinenanzüge der Herren – nur ab und zu gab es schwarze Flecken dazwischen, das waren die Arbeiter, die sich keine hellen Sommeranzüge leisten konnten und in ihrer Alltagskleidung kamen. Sehr kleine Kinder in Strandanzügen spielten auf dem schmalen Sandstreifen, bewacht von dicken alten Matronen in gewaltigen schwarzen Badekleidern.
»Wie fette Pinguine«, sagte Wilhelm frech, der abgestiegen war, weil es so eng zuging. Liese lachte laut, Paul lächelte. Lilli verdrehte die Augen. Sie mochte Liese, aber ihr künstliches Lachen, wenn Jungs dabei waren, konnte sie nicht leiden. Als sie die Strandwirtschaft mit ihrer vollbesetzten Terrasse hinter sich gelassen hatten und die Promenade zu Ende war, stiegen sie wieder auf und fuhren, so schnell es auf den sandigen Wegen eben ging, um den See herum.
Als sie an »ihrer« Stelle waren, lehnten sie die Fahrräder an eine der Kiefern, die fast bis an den See heran wuchsen, nahmen ihre Decken und Badesachen und schlugen sich ein Stück ins Schilf, wo es kleine lichte Stellen gab, an denen man sich umziehen und seine Decken ausbreiten konnte. Liese und Lilli schlüpften in ihre Anzüge und nähten sie sich gegenseitig mit ein paar schnellen Stichen am Rücken zu. Lilli bemerkte Lieses kurzen, befriedigten Blick auf die zarten Ansätze ihres Busens und ärgerte sich wieder. Paul und Wilhelm hatten sie unbedingt mitnehmen wollen. Frag sie doch, hatten sie gesagt, los, frag sie. Dabei war Liese nicht unbedingt ihre beste Freundin. Aber sie verstand schon, was die Jungens an Liese fanden. Sie war eine von denen, die immer süß aussahen und die jedem Jungen das Gefühl gaben, er könnte ihr ritterlicher Beschützer sein.
Es war so heiß, dass sie ihre Kleider einfach auf das große Tuch warfen und dann sofort ins Wasser gingen. Paul und Wilhelm waren schon drin und ein kleines Stück hinausgeschwommen.
Liese tastete sich vorsichtig ins Wasser.
»Hu«, machte sie, »eisig kalt!«
Lilli, noch vom Fahrradfahren erhitzt, fand es auch kühl, aber nun rannte sie gerade hoch aufspritzend hinein, warf sich mit einem Schwung nach vorn und begann zu schwimmen. Nach ein paar Zügen legte sie sich auf den Rücken und lachte laut los, als sie sah, wie Liese immer noch mit zimperlichen Storchenschritten in den See watete.
»Komm jetzt!«, schrie sie und warf ihr hartherzig mit beiden Händen Wasser ins Gesicht. Liese quiekte, Wilhelm und Paul kamen angeschwommen und zogen sie ins Wasser. Liese wehrte sich nur der Form
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