Das Diamantenmädchen (German Edition)
Notizen. Der Bericht des Pathologen und der ganze Kram, der sich so in einem Fall ansammelte. Pläne, Broschüren, Telegramme, Visitenkarten und Telephonnummern. Überreizt und fahrig breitete er alles auf dem Tisch aus, aber er war nicht bei der Sache. Die Bilder der Nacht waren immer noch da, und er wusste, dass er sich eigentlich nicht wünschte, diese Nacht rückgängig zu machen. Und da war noch etwas: Wenn er van der Laan verhaftete, würde Lilli ihn dann noch … mögen, dachte er rasch, weil es unverbindlicher klang, oder würde sie sich abwenden?
Er zwang seine Gedanken von Lilli fort und versuchte, den Fall zu rekapitulieren. Von Schubert hatte M’banga mit Diamanten aus Kolmannskuppe nach Deutschland kommen lassen. Er machte sich eine Notiz. Wie war M’banga bezahlt worden? In Rohdiamanten? Damit konnte man doch wahrscheinlich in einer Stadt wie Berlin nichts anfangen. Und wie viel? Sie mussten von Schubert noch einmal befragen. M’banga hatte sich eine Zeit lang in Berlin herumgetrieben, hatte sich als Trommler verdingt. Das sah doch eher danach aus, als hätte er Geld gebraucht. Schambacher klopfte mit dem Bleistift an seine Zähne. Hatte M’banga Geld gewollt? Schwer vorstellbar – mit einem Rohdiamanten in der Tasche. Irgendein Hehler hätte sich doch finden lassen. Schambacher dachte weiter nach. Warum hätte van der Laan M’banga töten sollen? Woher kannte er ihn überhaupt? Immer wieder kehrte er zu dieser Frage zurück.
»Elly!«, rief er ins Nebenzimmer.
Elly Damaschke erschien. Sie sah auch ein wenig müde aus, aber das machte wohl der Herbst.
»Was gibt es denn, Herr Doktor?«, fragte sie mit einem kleinen Lächeln.
»Elly«, sagte Schambacher, »wollen Sie so nett sein und mir einen starken Mokka machen? Ich kann gar nicht mehr denken. Wo ist Togotzes eigentlich?«, fragte er dann.
Elly hob die Schultern.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich glaube, er wollte Fräulein Kornfeld noch einmal vernehmen. Jedenfalls hat er mich bei Ullstein anrufen lassen, aber sie hat heute frei. Er ist trotzdem los.«
Schambacher nickte nur, und Elly ging, den Mokka zu machen. Jetzt war er noch schlechter gelaunt. Traute Togotzes ihm nicht? Wusste er, dass er bei Lilli gewesen war? Oder wollte Togotzes einfach noch einmal ihr Alibi prüfen? Er hatte ja recht – das war ihre Pflicht. Am liebsten hätte er den Kopf gegen die Wand geschlagen. Er hatte sich so verstrickt! Am Schreibtisch stehend schob er die Unterlagen hin und her. Da war der Zettel, den von Schubert ihnen gegeben hatte. Kronacher. Der Mittelsmann zwischen den Deutschen in Kolmannskuppe. Der Mann, der die Askari nach Deutschland begleitet hatte. Acheron, dachte Schambacher müde, aber da war ein K zu viel. Kornacher. Schade. Da fehlte das K dann wieder. Kornacker wäre schön gewesen.
Kornacker.
Schambacher richtete sich wie elektrisiert auf.
Kornacker! Das war dann doch ein bisschen viel Zufall. Das konnte nicht sein. Er nahm den Zettel auf. Wilhelm Kronacher stand da in der eleganten Schrift von Schuberts. Schambacher versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, wie Lillis Bruder mit Vornamen geheißen hatte. Wilhelm Kronacher war der Mann, der in Kolmannskuppe gewesen war. Wilhelm Kronacher war der Mann, der M’banga und die Diamanten nach Deutschland gebracht hatte. Kronacher war kein seltener deutscher Name, aber das konnte doch wirklich kein Zufall sein. Oder spann er? Er war übermüdet. Kornfeld und Kronacher. Wenn sich einer schon einen neuen Namen aus dem Anagramm seines alten machte, warum dann kein sauberes? Er verzog das Gesicht, als ihm etwas einfiel. Er selber hatte Lilli bei ihrem ersten Rendezvous gesagt, dass man aus Kornfeld kein ordentliches Anagramm machen konnte. Allmählich beruhigte er sich wieder. Togotzes würde sich totlachen über ihn. Aber trotzdem.
»Elly!«, schrie er ungeduldig.
Elly ließ auf sich warten. Erst nach zwei Minuten tauchte sie auf, eine Tasse in der Hand.
»Ich kann nicht zaubern, Herr Doktor!«, sagte sie, ohne zu lächeln. Das war ihre stärkste Form der Missbilligung. Schambacher schrie sonst nie.
»Entschuldigung, Elly«, lächelte er, seinerseits um Verzeihung bittend, »aber mir ist eben etwas eingefallen.«
Er reichte ihr den Zettel mit Kronachers Namen und einen, auf den er Kornfeld geschrieben hatte.
»Könnten Sie bitte ganz schnell beim Wehrbereichsamt Zehlendorf anrufen. Es sei dringend und wir bäten, möglichst sofort die beiden Namen nachzusehen. Den Vornamen von
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