Das Diamantenmädchen (German Edition)
bestellte Mokka für beide.
»Die Schneekristalle«, sagte Paul, »reflektieren das Licht ganz und gar. In ihnen bricht sich das Licht nicht in Farben. Es wird so zurückgeworfen, wie es hineingeht. Es bleibt rein.«
Lilli sah aus dem Fenster und hörte zu. Sie hatte es immer gemocht, wenn Paul Geschichten erzählte.
»So möchte man manchmal sein«, sagte sie ruhig, »dass alles durch einen hindurchgeht und man rein bleibt.«
»Ja«, sagte Paul und nahm einen Schluck Mokka. Das Café füllte sich etwas, aber es war immer noch nicht laut. Paul sagte:
»Deswegen sind die rein weißen Diamanten die wertvollsten. Es gibt einen weißen Diamanten, der nur der zweitgrößte in Europa ist, aber er hat eine Geschichte, die ich als Junge besonders mochte. Wilhelm und ich haben sie manchmal nachgespielt«, sagte Paul leise und sah zu Lilli hin. Lilli hatte darauf gewartet, dass er von ihm sprechen würde, deshalb war sie nicht überrascht. Sie machte eine kleine Handbewegung, dass Paul erzählen sollte.
»Es ist der Sancy-Diamant «, sagte Paul. »Bis der Regent nach Europa kam, war er der größte weiße Diamant. Er stammt aus Indien, wie so viele berühmte Diamanten, und er hat eine wilde Geschichte voller Blut, Kriege und Revolutionen, wie all die anderen auch. Der Herzog von Burgund hat ihn in der Schlacht gegen die Türken verloren, der französische Botschafter Sancy in Konstantinopel hat ihn zurückgekauft, und so ist er durch die europäische Geschichte gewandert. Die Diamanten«, sagte Paul mit einem Anflug von Bitterkeit, »scheinen alle Kriege zu überleben.«
Er machte eine Pause und sah aus dem Fenster. Lilli betrachtete ihn. Diesen Ernst an ihm, dass ihn alles berührte, das hatte sie immer gemocht. Ein Raunen ging durch das Café, und Lilli schaute nach dem Eingang hin. Kästner war eben gekommen, und die jungen Damen am Tisch hatten aufgeregt die Köpfe zusammengesteckt. Lilli lächelte. Paul hatte nur kurz hinübergesehen und dann gewartet, bis Lilli wieder zuhörte. Die schräg stehende Vormittagssonne schien durch die Stores und malte Schattenbilder auf die weiße Tischdecke. Es sah schön aus, fand Lilli.
»Von all den Geschichten ist aber nur eine wirklich außergewöhnlich. Diamanten machen die Menschen meistens gierig. Fast immer werden sie mit Blut bezahlt. Aber so zum Ende des 16. Jahrhunderts hat Heinrich IV. Soldaten gebraucht und deshalb einen ungeheuren Kredit. Als Bürgschaft hat er einen jungen Offizier mit dem Sancy-Diamanten an den Kreditgeber gesandt. Aber der Offizier ist nie angekommen.«
Lilli, die bisher eher höflich zugehört hatte, merkte, dass Paul auf etwas Besonderes hinaus wollte.
»Hat er den Diamanten gestohlen?«, fragte sie und dachte an Wilhelm.
»Nein«, sagte Paul, »er ist von Räubern verfolgt worden, die ihn schließlich überfallen haben. Nur – er hatte den Diamanten nicht. Sie haben ihn totgeschlagen.«
»Es ist wieder eine blutige Geschichte«, sagte Lilli. Sie wusste nicht, ob sie das Ende hören wollte. Paul merkte das.
»Warte«, sagte er ruhig, »es war nämlich so, dass der König sich absolut sicher war, dass dieser Offizier ihn nicht betrügen würde. Er wusste, dass er ihm treu war. Bis in den Tod. Deshalb konnte er nicht verstehen, dass der Offizier den Diamanten nicht mehr bei sich hatte, als er überfallen wurde. Andererseits hatte er auch keine Möglichkeit gehabt, ihn zu verstecken. Heinrich dachte lange nach, und dann, kurz bevor der Offizier zu Grabe getragen werden sollte, fiel es ihm ein. Es hatte nur einen Weg gegeben, den Diamanten zu retten. Heinrich ließ den Leichnam zurück ins Schloss bringen. Und dann fand man den Diamanten in seinem Magen.«
Paul schwieg und sah aus dem Fenster auf den Schnee. Lilli blickte ihn an und dachte nach. Dann wusste sie, was er ihr sagen wollte.
»Paul«, sagte sie leise. Er schaute zu ihr, und sie legte impulsiv eine Hand auf die seine.
»Ich konnte das nicht«, sagte er sehr leise.
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Lilli schließlich, »über das, was du gesagt hast, und über Wilhelm und über uns drei.«
Paul wollte etwas sagen, aber sie ließ ihn nicht.
»Als du gesagt hast, du wolltest leben, da habe ich das zuerst nicht verstanden. Aber jetzt denke ich«, sagte sie und sah ihn dabei voll an, »dass du mir treu warst, als du nicht hinausgegangen bist.«
»Ich war feige«, sagte Paul und schlug die Augen nieder.
»Das ist die Logik der anderen«, sagte Lilli ärgerlich, »die der von
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