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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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sie hätte es sich verdient, dabei zu sein, und ging jetzt frech davon aus, dass sie dabei sein durfte. Schließlich war sie Journalistin. Als sie aus der U-Bahn kam, zog sie unwillkürlich den Kopf ein. Es war ein windiger Tag, und es wehte in kalten Stößen durch die Stadt. Hier kullerten Hüte die Gehsteige entlang, ältere Herren in schwarzen Paletots eilten verzweifelt hinterher, dort sah man Frauen, die mit umgestülpten Schirmen kämpften, an den Ecken wirbelten weggeworfene Zeitungen durch die Luft. Es regnete nicht richtig, aber der Wind war feucht und unangenehm. Lilli war froh, dass sie sich ihr elegantes Hütchen festgesteckt hatte. Ihre Haare zauste der Wind trotzdem. Die Markisen über den Schaufenstern knatterten, und nasse Blätter fegten durch die Straße. Es war richtiges Herbstwetter, und wenn es nicht so unangenehm kalt gewesen wäre, hätte sie mit Vergnügen betrachtet, wie sich alle Passanten schräg gegen den Wind das Trottoir entlangkämpften. Es war, als hätte man von der Französischen Straße ein Bild gemacht und es ein wenig schief aufgehängt. Lilli dagegen hatte den Wind im Rücken und ließ sich bis zur Ecke schieben, wo sie zur Jägerstraße abbiegen musste. So viel Trubel auf der Französischen Straße gewesen war, so wenig war eine Straße weiter bei der Reichsbank los. Die Tür zur Kabine des öffentlichen Fernsprechers war nicht in Ordnung und schwang im Wind krachend immer wieder zu, dass die Scheiben klirrten. Schräg gegenüber dem Eingang hatten Bauarbeiter ein primitives Zelt aus Militärplachen über ihrer Baugrube aufgebaut. Der Wind zerrte an den Ecken und blähte es so auf, als wollte er es im nächsten Augenblick wie einen Drachen in den Himmel wirbeln. Lilli fühlte sich an solchen Tagen immer an die Geschichte vom fliegenden Robert erinnert, die ganz am Schluss ihres Struwwelpeter gestanden hatte. Die anderen Kinder mochten die Geschichte nicht, aber sie hatte sich heimlich immer vorgestellt, wie großartig es sein musste, einfach die Arme auszubreiten und davonzufliegen. Sie mochte solches Wetter.
    Paul stand auf den Treppen zum Eingang der Reichsbank unter den zwei großen Laternen, die so aussahen, als würden sie immer noch mit Gas betrieben.
    »Eine richtige Windsbraut«, lachte er unwillkürlich, als er sie sah, »du siehst aus, als seist du hergeflogen. Deswegen wahrscheinlich pünktlich – ganz anders als früher!«
    Lilli freute sich, dass Paul so unbeschwert wirkte. Insgeheim hatte sie befürchtet, ihn wieder so verschlossen vorzufinden, wie sie ihn beim letzten Mal angetroffen hatte. Aber der Wind schien ihm auch zu gefallen.
    »Ich kann es mir nicht mehr leisten, unpünktlich zu sein«, sagte sie atemlos. »Wenn du als Journalistin zu spät kommst, bist du bald keine mehr.«
    Paul öffnete eine der fast dreieinhalb Meter hohen Flügeltüren.
    »Na, dann wollen wir mal sehen«, sagte er mit einer Stimme, die Aufregung und Erwartung durchklingen ließ. Nach dem Windfang gab es eine zweite, kleinere Glastüre, die Paul ihr ebenfalls in fast spöttischer Höflichkeit öffnete, und dann befanden sie sich im Inneren. Es war, als hätte man eine Kirche betreten. Vor ihnen lag ein Kreuzgang, dessen Gewölbedecke von marmornen Säulen getragen wurde. Zwischen den Säulen standen Gaskandelaber, die überall ausreichend Licht gaben. Das Gewölbe der Decke war mit Stuckkassetten geschmückt, die alle möglichen Szenen aus zweitausend Jahren Geldwesen zeigten. Elegante, glänzend lackierte Stehpulte standen streng geometrisch ausgerichtet in diesem Gang, die Schreibflächen gegeneinander mit Milchglas abgetrennt. Nach jedem Stehpult gab es eine lederne Polstergarnitur, oval der Länge des Raumes angepasst, die in ihren Ausmaßen wohl jedes großbürgerliche Wohnzimmer gesprengt hätte, sich aber in diesem fast acht Meter hohen Kreuzgang beinahe zierlich ausnahm. Hölzerne, dunkel lackierte Balustraden liefen zwischen den Säulen entlang und machten unaufdringlich deutlich, dass es jenseits dieser Abzäunung ein Sanctum und diesseits ein Profanum gab.
    »Das Geld ist ein Gott«, sagte Paul spöttisch, aber beeindruckt.
    »Vor allem der Dollar«, bemerkte Lilli nebenbei, »nichts bekehrt besser zu einem neuen Glauben als so eine nette kleine Inflation.«
    In der Bank waren nur wenige Menschen zu sehen, und nirgends beeilte man sich. Ein paar Herren in dunklen Anzügen wanderten von diesem in jenes Büro, manchmal mit ebenso dunklen Aktenmappen, manchmal auch nur mit

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