Das Diamantenmädchen (German Edition)
metallenen Tafeln klemmten Hunderte von Zeitungsausschnitten, im Hintergrund tickerte ein Fernschreiber, und das Gesumm aus den Gesprächen von zwanzig Journalisten, Photographen, Sekretärinnen und Volontären füllte den Raum. Der Geruch von Kaffee, von orientalischen Zigaretten und von Papier hing in der Luft; hier mal stärker mit dem trockenen Geruch nach Graphit aus der Bleistiftspitzmaschine untermischt, dort mit dem ölig schweren Duft von Druckerschwärze. Lilli liebte ihn. Für sie bedeuteten der Geruch und der absolut unverwechselbare Lärm einer Redaktion die Erfüllung eines Traums. Immer noch.
Sie ging durch bis zu den Chefbüros. Ihr Redaktionschef hatte seines direkt neben dem von Louis Ullstein. Sie klopfte an die Glastür, dann trat sie ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Gruber telephonierte und bedeutete ihr, sich zu setzen. Lilli hörte zu, wie er sich wortreich entschuldigte – wahrscheinlich bei einer jungen Dame, zu seiner Frau war er selten so freundlich – bevor er aufatmend den Hörer auf die Gabel warf und sich ihr zuwandte.
»Na, Kornfeld, haben Sie was für mich?«
»Wussten Sie, dass der Orloff in der russischen Zarenkrone ursprünglich ein indischer Diamant war?«, fragte Lilli ohne Einleitung. »Gehört jetzt der Sowjetregierung. Die will ihn verkaufen. Nach Amerika. Oder warum der berühmte grüne Dresdner Diamant grün ist?«
»Ich nehme an, Sie werden’s mir sagen«, antwortete Gruber lächelnd. Er mochte Lillis Begeisterungsfähigkeit.
»Natürliche Radioaktivität«, sagte Lilli stolz, »Strahlen verändern die Farbe von Diamanten. Der Dresdner Diamant ist der größte natürlich grüne Diamant der Welt. Heute kann man freilich alle färben. Röntgen sei Dank. Und wussten Sie, dass der Blue Hope …«
Gruber unterbrach sie lachend.
»Ja, ja! Erzählen Sie’s nicht mir. Erzählen Sie’s den Lesern. Gibt es auch Bilder zu Ihren Geschichten?«
Lilli machte eine lässige Handbewegung.
»Was immer Sie wollen: Schwarze in den Minen Südafrikas, Berliner Diamantenhändler, die Kronjuwelen Russlands … alles schon beigebracht. Ich brauche nur noch etwas Aktuelles als Aufhänger.«
»Na«, sagte Gruber und begann in den Zeitungen auf seinem Schreibtisch zu wühlen, »da hatte ich doch was für Sie.«
Er blätterte so schnell, dass Lilli sich nicht zum ersten Mal wunderte, wie er überhaupt auch nur die Überschriften lesen konnte, aber da hatte Gruber auch schon gefunden, was er suchte.
»Hier«, sagte er zufrieden und reichte Lilli eine Polizeimeldung aus der Morgenpost , »da ist es.«
Lilli nahm die Zeitung und überflog den Inhalt.
»Ach nee«, sagte sie dann überrascht, »ein Diamantenmord. Das passt ja wie die Faust aufs Auge.«
»Nicht wahr?«, freute sich Gruber. »So, und nun fangen Sie mal an, Fräulein Kornfeld. Bekomme ich das bis Freitag?«
»Es wird eine Serie«, antwortete Lilli so lässig wie möglich, »den ersten Teil haben Sie am Freitag.«
Gruber sagte nichts, und Lilli verließ sein Büro, so schnell sie konnte. Eine Serie! Das hatte sie bisher noch nie geschafft. Vielleicht lag es daran, dass Gruber sich selbst für das Thema interessierte. Immerhin hatte er den Mordfall im Kopf gehabt. Sie las den Artikel noch einmal. Es war mehr oder weniger der etwas geglättete Polizeibericht. Sie kannte den Stil aus ihrem ersten Jahr bei Ullstein. Ein unbekannter Schwarzer war ermordet worden. Und er hatte einen Rohdiamanten bei sich gehabt. Die Polizei verfolge eine Reihe von Spuren, hieß es, und Lilli übersetzte für sich, dass die Polizei noch gar keine Spur hatte. Ein Rohdiamant, las sie noch einmal und wurde nachdenklich. Es konnte natürlich einfach Zufall sein; so wie man überall grüne Hüte sah, wenn man sich eben einen grünen Hut gekauft hatte, aber seltsam war es doch. Rohdiamanten. Sie nahm sich vor, von Schubert danach zu fragen, wenn sie sich morgen sahen. Dann gab sie sich einen Ruck und ging zurück an ihren Schreibtisch, wo ihre Olympus schon auf sie wartete.
Sie hatte die U-Bahn nach Mitte genommen und stieg an der Französischen Straße aus. Die Reichsbank lag in der Jägerstraße, durch die sie wahrscheinlich schon tausend Mal gegangen war, ohne sich jemals bewusst zu machen, dass hinter der Palastfassade die Reichsbank arbeitete. Sie hatte sich mit Paul am Eingang verabredet. Von Schubert hatte sie dorthin bestellt; genauer gesagt, hatte er eigentlich nur Paul gebeten, direkt zur Reichsbank zu kommen, aber Lilli hatte das Gefühl,
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