Das Diamantenmädchen (German Edition)
auch dem Fabrikanten nicht unbedingt glauben. Wer weiß, ob der seiner Frau nicht Rechenschaft über verjuxtes Geld ablegen musste.
»Ich weiß nicht, Anna«, sagte er begütigend, »aber so sechs Monate Bau werden es diesmal wohl. Körperverletzung und Raub …«
»Sechs Monate!«, fuhr Anna entsetzt auf. »Det is ja … wie kann denn det … det kann ick ma jar nich leisten.«
Alle Herren und die Sekretärin mussten lachen. Schambacher gab sich Mühe, ernst zu bleiben. Anna war bisher immer mit Geldstrafen oder höchstens zwei Wochen wegen Lärmbelästigung oder auch mal einer Ohrfeige für eine allzu dreiste Kollegin weggekommen. Ein halbes Jahr war eine andere Sache. Und wahrscheinlich konnte sie sich das wirklich nicht leisten. Wenn man erst einmal ein halbes Jahr von der Straße verschwand – das war nicht ganz so einfach für eine Frau in ihrem Alter. Aber so war das eben. Schambacher zuckte mitleidsvoll die Achseln, stand auf und wollte eben gehen, als Anna ihn mit eisernem Griff am Arm fasste.
»Doktorchen, und wenn ick euch nu so’n bissken helfen können tu?«, fragte sie. »Könnse dann wat machen wejen der sechs Monate?«
Schambacher legte Anna die Hand auf die mächtige Schulter.
»Anna«, sagte er sehr höflich, »sieh mal. Wir sind die Polizei. Wir verhängen doch die Strafen gar nicht. Das macht doch der Richter. Was soll ich denn da tun?«
Anna gab sich gelassen.
»Na, ick dachte, wejen dem Nejer. Den habta doch erst neulich auf’n Tisch jekricht und wie’t heeßt, wissta noch nichma, wer et is.«
Schambacher war jetzt nicht mehr mitleidig. Jetzt war er hellwach.
»Und du weißt es, ja?«, fragte er freundlich.
Anna zuckte die Schultern.
»Kommse, Doktorchen, eine Hand wäscht die andere.«
Schambacher hatte sich Anna wieder gegenübergesetzt und sah ihr schweigend ins Gesicht. Dann stand er auf, winkte Lunow und ging mit ihm ins Nebenzimmer. Die Tür schloss er sorgfältig, dann wandte er sich an den Kollegen.
»Wollen Sie mir bitte die Telephonnummer des Fabrikanten geben?«, fragte er höflich. »Wir wollen doch mal sehen.«
Lunow, für den der Verlauf des Abends nach einem lärmenden und etwas lästigen Beginn nun deutlich heiterer geworden war, suchte sie für Schambacher heraus. Dieser wählte die Nummer und hatte Glück. Der Fabrikant war zu Hause. Schambacher war fast unheimlich höflich – er wusste, dass er das sehr gut konnte – und bat den Herrn, den Abend noch einmal genau zu schildern. Lunow sah nur, wie sich der Kommissar in seiner feinen, steilen Schrift Notizen machte. Neutral wie ein Arzt fragte er danach, wo und wie der Herr Athleten-Anna denn getroffen hätte, was an Dienstleistungen und Preisen vereinbart worden war, wie viel getrunken worden war und wo. Das Gespräch dauerte fast zwanzig Minuten. Schambacher sah, dass Lunow zum wiederholten Mal fragend die Hände hob und auf die Akte deutete, in der das alles schon niedergelegt war, aber er winkte immer wieder lächelnd ab. Dann war der Fabrikant am Ende. Schambacher hörte einen Augenblick auf das Rauschen in der Leitung und die weit entfernte Melodie, die aus einem Grammophon im Fabrikantenhaus kam. Ruhig nahm er die Notizen her und sagte:
»Also, mein lieber Herr, vor Gericht werden wir als Zeugen also folgende Fakten angeben …«
Und dann wiederholte Schambacher mit großem Genuss und diesmal keineswegs neutral, sondern mit maliziöser Stimme, dass der Herr Fabrikant bereits mehrere Lokale von bekanntem Ruf aufgesucht habe, im letzten dann mit Athleten-Anna ein Schäferstündchen vereinbart habe, das den Einsatz einer Reitgerte und einer Hundeleine umfasst habe, und dass besagte Anna ihm dann im Schwitzkasten – ja, dieser Frau ist eben auch kein Industriekapitän gewachsen, haha – eine halbe Flasche Schnaps eingeflößt habe. Und er möge sich für die Verhandlung bitte gut anziehen, diesen Rat gebe er jedem Zeugen, seit Kurzem seien in den Berliner Gerichten auch Photoreporter zugelassen.
Lunow hatte sich gesetzt, schüttelte lautlos lachend den Kopf und hob beide Daumen in Schambachers Richtung. Der wartete noch.
»Photoreporter?«, kam es nach einem Husten scheppernd durch die Leitung.
»Ach ja«, sagte Schambacher, »und dann wäre da noch die Frage nach der exakten Summe, die fehlt. Wenn Sie einfach eine Aufstellung machen könnten, was Sie zu Anfang dabei hatten, was Sie in den …«, das betonte er besonders, »Lokalen … und wofür … ausgegeben haben und was Ihnen am Schluss
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