Das Diamantenmädchen (German Edition)
einer Freitreppe zwischen zwei Sandsteinsäulchen und mit einer kupfernen Kuppel samt Kreuz. Der Sandstein, aus dem er gebaut war, leuchtete noch hell, und das Blech des Daches hatte eben erst begonnen, an den Rändern grün zu werden – oben strahlte die Kuppel noch gelbrot in der Sonne, die jetzt schon ziemlich hoch stand. Die Stufen fühlten sich bereits ein wenig warm an, als Lilli ihre Hand darauf legte, dann den Mantel über sie breitete und Paul mit einer kleinen Handbewegung einlud, sich zu setzen. Es war hier, in der Mitte des Friedhofs, sehr still. Nur die Vögel waren zu hören und die leichte Brise in den Bäumen.
»Lilli«, sagte Paul nach einer Weile, ohne den Blick zu heben, »ich …«
Lillis Herz klopfte auf einmal. Sie musste schlucken.
»Ja?«, fragte sie in bemüht leichtem Ton.
»Ich …«, begann Paul noch einmal, nahm sich dann zusammen und sagte schnell: »Ich habe mich gemeldet.«
Lilli, die etwas völlig anderes erwartet hatte, war einen Augenblick perplex.
»Was?«, fragte sie nach.
»Ich habe mich gemeldet«, wiederholte Paul, »heute Morgen. Zusammen mit Wilhelm.«
Nun war Lilli vollkommen sprachlos.
»Du … und Wilhelm auch?«, fragte sie nach. »Er hat mir gar nichts … weiß Mama schon, dass … Ihr habt euch heute Morgen beide gemeldet?«
Paul nickte.
In Lilli ging plötzlich alles durcheinander. Einerseits war sie stolz auf Paul und ihren Bruder. Ihr schoss einen Augenblick durch den Kopf, was Liese Scharnow sagen würde, wenn sie das erfuhr, aber dann schämte sie sich und schob den Gedanken beiseite. Andererseits: Paul und Wilhelm. Alle beide zusammen. Und beide an die Front … Paul!
»Ihr …«, sie musste plötzlich schlucken und fing noch einmal an, halb lachend, halb mit Tränen in der Stimme, »ihr habt ja schon immer alles gemeinsam gemacht. Oje. Wenn Mama das hört. Ach, Paul!«
Unverhofft hatte sie den Kopf an seiner Schulter, und nach einem kleinen Zögern legte er ganz vorsichtig die Hand auf ihren Rücken. Sie musste gar nicht weinen, aber sie wollte auch nicht, dass er jetzt ihr Gesicht sah, und außerdem war die Hand auf ihrem Rücken so warm.
»Wir werden sowieso zuerst nur in der Kaserne sein«, versuchte Paul die Schwere seiner Eröffnung abzumildern, »und nach der Ausbildung haben wir auch noch Ausgang. Wir kommen nicht gleich an die Front. Du und ich … wir können uns noch sehen. Ganz bestimmt.«
Lilli sagte nichts. Sie atmete Pauls Geruch ein und wusste, dass sie diesen Duft nach seinem Haar und seiner Haut zusammen mit all den zarten Frühlingsdüften in diesem Friedhof nicht vergessen würde.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte Paul leise an ihrem Ohr, »ein Abschiedsgeschenk.«
Lilli hob ihren Kopf von seiner Schulter und lächelte unsicher.
»Was ist es?«, fragte sie neugierig. Immer noch gingen die Gefühle in ihr wild durcheinander. Stolz, Angst, Glück, Sorge – und, natürlich, diese Welle, die sie zu Paul hintrug. Am liebsten hätte sie ihn umarmt und nicht mehr losgelassen. Am liebsten hätte sie die Sonne angehalten und es einfach immer weiter diese Vormittagsstunde auf einem Friedhof sein lassen. Für immer und immer.
»Vor allem«, sagte Paul und holte eine kleine Schatulle heraus, »ist es eine Geschichte. Mach mal die Augen zu.«
Lilli schloss die Augen und spürte wieder die Sonne rot auf den Augenlidern, spürte, wie Paul sanft ihre vor Aufregung kühle Hand nahm und ihr einen Ring überstreifte.
Sie öffnete die Augen und sah auf ihre Hand, die immer noch in seiner lag. Um ihren Ringfinger saß ein schlichter, schmaler Silberreif, auf dem in einer kaum sichtbaren, feinen Fassung ein kleiner, klargrüner Brillant bei jeder Bewegung Licht versprühte.
»Paul!«, sagte Lilli überwältigt. »Das darf ich doch nicht … das geht doch nicht!«
»Du musst ihn nicht tragen«, sagte Paul schnell, »nur, wenn du alleine bist.«
»Aber … der war bestimmt schrecklich teuer!«
Paul lachte.
»Und du bist eine dumme Puppe. Wir sind doch Diamantenhändler. Und ich habe ihn selber geschliffen. In einer neuen Form, die ganz viel Licht gibt. Weil er doch so leuchten sollte wie deine grünen Augen an diesem Frühlingstag.«
Lilli sagte nichts, sondern hielt den Stein in die Sonne. Wie er strahlte! Und sein Grün war eigentlich nicht wie eine Farbe, sondern eher wie die verspielte Idee einer Farbe. Die Facetten warfen Reflexe von immer anderen Grünschattierungen auf die Haut ihrer Hand.
»Das ist«, sagte sie leise,
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