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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Räuberpistole«, sagte Lilli heiter, »wie damals, weißt du noch?«
    Sie hatten sich beim Spielen oft Geschichten ausgedacht: Indianer- und Ritter- und Räubergeschichten.
    »Ja«, sagte Paul, »ich erinnere mich. Aber die hier ist wahr.«
    »Unsere waren auch immer wahr!«, empörte sich Lilli. Paul drückte ihre Hand ein wenig und erzählte weiter.
    »1812 taucht der Stein dann wieder auf. Aber jetzt ist er umgeschliffen und hat nur noch um die 40 Karat. Angeblich hat ihn der englische König George besessen, aber aus dem Kronschatz wurde er wohl wieder gestohlen, denn später kaufte ihn der Bankier Hope, und nach ihm ist der Stein auch benannt. Blaue Hoffnung …«
    »Ein schöner Name«, seufzte Lilli nur halb ironisch.
    »Schon«, sagte Paul trocken, »die Hope-Familie jedenfalls hat er für immer entzweit. Die Erben haben zehn Jahre um den Stein prozessiert. Später hat ihn ein Lord Francis gekauft und seine Mätresse damit geschmückt. Leider war er kurz darauf bankrott, musste den Stein verkaufen, und seine Mätresse, die er inzwischen geheiratet hatte, ließ sich scheiden.«
    Lilli hatte die Augen geöffnet und betrachtete den kleinen grünen Stein an ihrer Hand, die immer noch locker in Pauls Hand lag.
    »Paul«, begann sie, aber Paul sah sie lächelnd an.
    »Warte noch«, sagte er, »dann verstehst du, warum ich den deinen Green Despair genannt habe. Lord Francis nämlich hat im Jahre 1901 den Stein an Fürst Kanitowski verkauft, der ihn seiner Geliebten geschenkt hat. Vielleicht«, grinste Paul überraschend boshaft, »war ihr das Geschenk nicht groß genug, denn sie hat ihn betrogen, und vor vierzehn Jahren hat er sie dann erschossen.«
    Lilli dachte an all die Romane, die sie gelesen hatte, in denen ständig solche Tragödien vorkamen. Aber das hier war eine wahre Geschichte, und sie zog die Schultern zusammen.
    »Und dann?«, fragte sie.
    »Na ja«, sagte Paul nachdenklich, »vor acht Jahren hat ihn Sultan Abdul Hamid gekauft, und der war wirklich ein grausamer Herrscher. Er hat ihn einer seiner vier Frauen geschenkt, aber als es so allmählich zur Revolution kam in der Türkei, da hat sie mitgemacht. Und bevor der Sultan ins Exil musste, hat er sie noch schnell hinrichten lassen. Um ein Exempel zu statuieren.«
    »Paul«, sagte Lilli entschieden und zog ihre Hand aus seiner, »ich habe eben beschlossen, dass ich keinen Diamanten will.«
    »Nun warte mal«, sagte Paul, »ein Amerikaner hat den Stein dann gekauft. Vor fünf Jahren. 1911. Leider hat er im selben Jahr auch eine Überfahrt auf der Titanic gebucht …«
    »Oh nein!«, stöhnte Lilli übertrieben, aber doch fasziniert. »Auf der Titanic ?«
    Sie war wirklich noch ein kleines Schulmädchen gewesen, als die Titanic gesunken war, aber es war doch eines der Ereignisse, die man auch als Kind so richtig mitbekommt, weil alle Erwachsenen davon betroffen sind.
    »Zum Glück hat er den Stein nicht mitgenommen«, sagte Paul leicht ironisch, »sonst wäre die Geschichte nämlich schon zu Ende. Er hat ihn vorher seiner Frau geschenkt. Evalyn Walsh MacLean, und die hat ihn seitdem. Man kann bloß hoffen, dass er ihr nicht auch Unglück bringt.«
    Er schwieg. Von ferne hörte man die Mittagssirene aus dem Brauereiviertel. Danach war es wieder still. Lilli sah eine Hummel schwerfällig durch die warme Luft taumeln und legte sich auf die Stufen zurück. Wie schön es hier war. Sogar die Luft schmeckte leicht.
    »Und deshalb heißt mein Stein Despair statt Hope ?«, fragte sie. »Damit er Glück bringt?«
    »Ja«, sagte Paul heiser und legte seine Hand ganz leicht auf die ihre, an der sie den Ring trug, »dir und mir.«
    »Danke«, sagte Lilli nach einer Weile sehr leise, und dann schloss sie die Augen wieder, um in diesem einen goldenen Augenblick weiterzuschweben wie eine der Frühlingswolken über ihr, leicht und so weit fort und so unberührbar, dass niemand einen jemals vom Himmel holen konnte.

10
    Die Musik war bis hinaus auf die Straße zu hören, wenn sich die Türen zur Bar öffneten und Rauch in die Regenluft wirbelte. Omnibusse zischten durch Pfützen, stöhnten, wenn die Pressluftbremsen griffen, fuhren mit ihren nagelnden Dieselmotoren wieder an. Chauffeure in eleganten, schweren Wagen überholten leise, scherten vor den Bussen ein, hielten direkt vor dem Club und schienen das wütend plärrende Hupen der Busfahrer nicht einmal wahrzunehmen, wenn sie mit blanken Stiefeln und ohne Eile um den Wagen gingen, um ihren Herrschaften den Schlag zu

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