Das Diamantenmädchen (German Edition)
öffnen, die so ganz anders aussahen als die Leute im Omnibus. Da wehten weiße Seidenschals im Oktoberwind. Zylinder glänzten, als wären sie so nass wie die Straße. Weiße Papageienfedern schwangen sacht auf strassbesetzten Hauben, die auf schimmernd frisierten Haaren saßen wie Helme einer extravaganten Armee der Schönheit. Seidenstrümpfe leuchteten im gespiegelten Licht der Gaslaternen an den Beinen schöner junger Damen und auch weniger schöner, älterer Frauen an den Armen reicher Kriegsgewinnler, die teure Zigarren auf der Straße rauchten. Die Berliner feine Gesellschaft und die Berliner Demimonde gingen aus und trafen sich in der Bar zum Papagei .
Schambacher war ein studierter Mann und kam gewiss nicht aus schlechtem Haus, aber wenn er die selbstverständliche Eleganz dieser Leute sah, dann fühlte er sich immer ein wenig unsicher; wurde sich bewusst, dass sich seine Hose an den Knien schon ein wenig ausbeulte, dass die Ärmel seines Jacketts vielleicht schon ein wenig blank wurden, dass seine Krawatte vielleicht ein wenig zu breit war. Er besaß ja eigentlich Abendgarderobe. So war es ja gar nicht. Aber natürlich war er nicht extra nach Hause gegangen, um sich umzuziehen.
Ich bin Polizist, dachte er, und gab sich einen Ruck, mir kann ganz gleichgültig sein, wie die mich anschauen. Und abgerissen sah er nun nicht aus. Er achtete schon darauf, sich gut anzuziehen. Aber das Gehalt eines Kommissars war eben nicht üppig. Er war froh, dass er den dunklen Mantel genommen hatte und nicht den hellen Trenchcoat, den er sonst manchmal trug. Schambacher überquerte den Potsdamer Platz und ging auf die Bar zu. Vom Ampelturm leuchtete es abwechselnd rot und grün. In den Straßen der Kreuzung ringsum spiegelten sich die Farben und wetteiferten mit den Leuchtreklamen für Osram und dem Schriftzug Bardinet von der Fassade der Tanzdiele. Er wich einer Pferdedroschke aus, die wohl auf dem Weg nach Hause war, und kam auf der anderen Seite an.
»Guten Abend!«, begrüßte ihn der Türsteher nach einem kaum merklichen Blick über Schambachers Anzug und hielt ihm die Türe auf.
»Abend«, antwortete Schambacher kurz und trat ein. Es ging gegen elf Uhr abends, das Lokal war schon ziemlich voll. Rauch hing in Schwaden unter der Decke, es war warm und roch nach den vielen Parfums der Damen, nach Zigaretten und nach Alkohol. Die Musik war modern, laut, der Rhythmus drängend. Schambacher war sich bei Jazz oft mit sich selbst nicht einig. Manchmal gefiel ihm diese schnelle, zerrissene Musik, dieser musikalische Schrei nach Leben, nach einem schnellen, aufregenden Leben. Aber andererseits machten ihn manche Lieder nervös, seine Nerven vibrierten hochgespannt, und es war, als hätte man plötzlich einen Hunger, den man nicht mit Essen stillen konnte.
Auf der Bühne spielte eine Band, die nur aus Schwarzen bestand. Es waren zehn, vielleicht zwölf Musiker, alle im Smoking. Der Mann an der Gitarre hatte seine Zigarette zwischen Saiten und Bund geklemmt und die Augen geschlossen, während seine Finger über den Steg tanzten. Die Klarinettisten und die Trompeter standen sich schräg gegenüber und sahen aus, als lieferten sie sich einen Wettkampf; lachend, wenn sie die Instrumente sinken ließen, schweißnass, voller Energie spielten sie Melodien, die manchmal miteinander und manchmal gegeneinander tanzten. Und alles war unterlegt von diesem einzigartigen Rhythmus, der alle in der Bar bewegte, ob sie saßen, standen oder tanzten. Überall wippten Beine unmerklich, klopften Finger abwesend auf weiße Tischtücher, wiegten sich Damen leicht in den Hüften, während die Pfauenfedern in ihren Stirnbändern im Zug der Ventilatoren schwankten.
»Huggable, loveable you …«, sang ein hochgewachsener, sehr schlanker Mann mit unvergleichlich weicher, leicht heiserer Stimme ins Telefunkenmikrophon.
Schambacher suchte den Trommler, der von den Tänzerinnen verdeckt wurde. Sie warfen in einer glitzernden Reihe am äußersten Rand der Bühne die Beine in exakt dieselbe Höhe. Knappe, paillettenglitzernde Höschen hatten sie an, die nicht länger als ein Badeanzug waren. An den Büstenhaltern wirbelten Strasskettchen funkelnd im Takt. Schambacher war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um im Stillen zuzugeben, dass ihm das gefiel. Den Trommler konnte er aber kaum sehen und beschloss, nach der Show hinter die Bühne zu gehen.
Die Tische waren dicht besetzt. Männer im Smoking, manche im Frack, einige wenige in dunklen Anzügen wie er
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