Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
Vom Netzwerk:
aussehen wie Nosferatu. Mondän ausgeschnitten oder elegant hochgeschlossen? Sie hielt sich abwechselnd die Kleider vor, dann legte sie beide wieder weg und holte zunächst die Wäsche aus dem Schrank. Es war schon jeden Morgen ein angenehmes Gefühl, das frische Leinen auf der Haut zu spüren, aber es war ein wunderbarer Luxus, Seidenwäsche zu tragen. Lilli konnte auf vieles verzichten; sie erinnerte sich daran, wie sie in den letzten Kriegsjahren gehungert hatten, aber für manche Dinge gab sie einfach gerne Geld aus.
    Ob ihr Busen zu groß war? Sie trat ein kleines Stück vom Spiegel zurück. Der Smaragdanhänger lag warm auf ihrem Dekolleté. Sie berührte ihn kurz und hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen, als sie an Paul dachte. Aber bitte, beruhigte sie sich selbst, wir gehen ja nur essen. Kurzentschlossen nahm sie das leicht ausgeschnittene Kleid, das den Anhänger sichtbar ließ, wie um sich selbst zu beweisen, dass dieses Rendezvous nichts bedeutete, bestenfalls ein Flirt war. Und eigentlich, dachte sie und war sich gleichzeitig bewusst, dass sie sich damit selbst widersprach, schuldete sie Paul nichts. Sie seufzte, während sie das Kleid überstreifte. Nein. Natürlich schuldete sie ihm nichts. Und es hatte während der letzten Jahre auch den einen oder anderen Begleiter gegeben, aber es waren doch immer mehr oder weniger flüchtige Begegnungen gewesen, die auch nie sehr lange gedauert hatten. Eine Jugendliebe ist schon ein Fluch, dachte sie spöttisch, sie verdirbt dich für alle Zeiten. Sie nahm die kunstseidenen Strümpfe und schlüpfte vorsichtig hinein, dann rollte sie sie hoch. Mit ihren Beinen war sie zufrieden. Nicht zu rund, nicht zu mager. Langgestreckte Wadenmuskeln wie bei den Läuferinnen, die sie einmal interviewt hatte. Sie war auch immer eine gute Läuferin gewesen. Als sie die Strümpfe angeklipst hatte, strich sie das Kleid wieder hinunter und stieg in die schwarzen Lackschuhe. Jetzt war sie noch ein paar Zentimeter größer, dachte sie, wahrscheinlich genauso groß wie er. Sie zuckte mit den Schultern. Da konnte man nun nichts machen. Sie tupfte sich noch etwas Parfum auf und kämmte ihr kurzes Haar. Es lag jetzt glatt und glänzend an. Als sie fertig war, griff sie nach Handtasche und Schlüssel, setzte den Hut auf und nahm im Hinausgehen den Mantel mit. Ich bin schön, dachte sie für einen winzigen Augenblick, während sie leichtfüßig die Treppe hinunterlief und der Rock flog, aber gleichzeitig war sie froh, dass sie das nicht laut gesagt hatte, denn sie spürte einen winzigen Anflug von Scham, von dem sie nicht ganz genau sagen konnte, woher er kam. Ach was, dachte sie dann vergnügt, auf in die Nacht.
    Schambacher hatte den Mantel bis zum Kragen zugeknöpft und den Hut ins Gesicht gezogen. Es war zum Abend hin richtig windig geworden. Laub, Zeitungsfetzen, abgerissene Kinokarten, Zigarrenstummel: Was von einem Großstadttag in den Straßen liegen geblieben war, fegte jetzt wirbelnd die Gosse entlang. Schambacher ging vorgebeugt, er hatte den Wind im Gesicht. Staubkörner prickelten auf seiner Haut. Er freute sich auf den Abend mit Fräulein Kornfeld, aber er war immer noch ein bisschen überrascht, dass sie ihm tatsächlich zugesagt hatte. Es war ein sehr spontaner Anruf gewesen, den er aus dem Büro geführt hatte. Ungewöhnlich für ihn – er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, was er eigentlich von ihr wollte. Er war kein Freund schneller Abenteuer. Er lächelte schief. Fürs Töten war er im Krieg alt genug gewesen, für die Liebe eigentlich zu jung. Und danach … er hatte dann geheiratet. Hastig, denn er hatte wie viele andere geglaubt, man müsste alles nachholen, weil man in den vier Jahren des Krieges eben nicht wirklich gelebt hatte. Manchmal hatte er jetzt das Gefühl, seine Jugend sei ihm gestohlen worden. Es ist ja nur ein Essen, entgegnete er sich selbst, um seine – allerdings ohnehin sehr leisen – Gewissensregungen zu beruhigen.
    Er war trotz des Windes vom Alex bis in die Friedrichstraße zu Fuß gegangen. Sie hatten sich im Wintergarten verabredet, obwohl Schambacher sonst die mondänen Lokale eher mied und lieber in die kleinen Bierkneipen ging. Er war fast eine Viertelstunde vor der Zeit da. Das Hotel Central leuchtete; auf der Lichtreklamentafel über dem Wintergarten stand, dass es heute gemischtes Programm geben würde: eine Japanertruppe, eine Kunstradfahrerin aus den Staaten und eine Kaleidoskoptänzerin – was immer das sein mochte. Auf

Weitere Kostenlose Bücher