Das Diamantenmädchen (German Edition)
dem Trottoir quirlten die Menschen durcheinander. Wagen fuhren vor, hupten, fuhren wieder an – es war Betrieb. Auf der Friedrichstraße stauten sich die Droschken in langer Schlange, und ein alter Bierkutscher stand mit seinem Lastwagen dazwischen; die großen, müden Kaltblüter zwischen all den eleganten schwarzen Autos gaben ein merkwürdiges Bild ab, sie wirkten wie aus einer anderen Welt. Vor dem Eingang standen Grüppchen; die Damen fröstelnd in leichten Capes, oft nervös mit den meterlangen Perlenketten spielend und aus langen Spitzen rauchend. Die Federn an ihren Stirnbändern wehten unruhig im Herbstwind. Die Herren boten sich gegenseitig Zigaretten aus silbernen Dosen an, sahen immer wieder nach den Droschken, die vorfuhren, um ihre Begleitung zu entdecken und ihr rechtzeitig den Schlag zu öffnen. Schambacher hatte sich diesmal im Präsidium umgezogen und trug Abendgarderobe. Er betrat den Wintergarten durch die große Glastür, ließ sich Mantel und Hut abnehmen und dann zu dem Tisch bringen, den er reserviert hatte. Das Lokal war voll, die Kellner schlängelten sich mit ihren Tabletts zwischen den eng stehenden Tischen hindurch; immer wieder hörte man Champagnerkorken knallen und Gläser klingen. Der Lärm war hektisch, fröhlich, das Klavier im Hintergrund kaum zu hören. Schambacher hatte sich einen Tisch auf der Terrasse geben lassen, obwohl der sechs Mark kostete, aber sie wollten ja auch essen. Über ihm glitzerte der künstliche Sternenhimmel aus tausend Glühbirnen. Der Kellner ließ auf sich warten, und Schambacher vertrieb sich die Zeit damit, das Panoptikum ringsum zu betrachten. Da waren all die dicken Herren Bürovorstände, die kaum noch in ihren Frack passten, verkrachte Adlige, die sieben Jahre nach der Revolution immer noch leicht beleidigt auf alle anderen herabschauten, als gehörte eigentlich ihnen der Wintergarten ; die nach dem Krieg beleibt gewordenen Ehefrauen der Fabrikanten mit ihren doppelt so langen Perlenketten und ihren immer ein bisschen zu großen Brillanten. Schambacher hatte nicht das Gefühl, zu denen zu gehören. Vielleicht war er durch die Arbeit bei der Polizei schlichtweg für das bürgerliche Leben verloren. Er hatte eben schon zu oft gesehen, was dahinter steckte, wie oft alles nur Schein war und alles gelogen. Manchmal sehnte er sich nach einem ganz einfachen Leben. Als Bauer vielleicht, da hatte man mit all dem nichts zu tun, da gab es nur die Arbeit und sonst nichts. Der Kellner kam immer noch nicht.
Lilli sah Schambacher schon am Tisch sitzen, als sie gerade erst den Wintergarten betrat. Ein eigenartiges Gefühl blitzte in ihr auf, eine Mischung aus Mitleid und Zuneigung: Er sah so einsam aus inmitten des Trubels. Sie ließ sich vom Kellner an seinen Tisch führen. Als er sie sah, sprang er sofort auf, lächelte ihr entgegen, alle Einsamkeit fiel von ihm ab, und er war sofort ein charmanter Gastgeber. Er beugte sich über ihre Hand, rückte ihr den Stuhl zurecht, sah darauf, dass sie einen guten Blick auf die Bühne hatte und bestellte, ohne nachzufragen, eine halbe Flasche Champagner.
»Sie sehen sehr schön aus«, sagte Schambacher dann, »wie eine frische Brise in dieser Stickluft.«
Er machte eine Handbewegung, die das Publikum umfasste und ein bisschen zum Ausdruck brachte, was er sich vorhin gedacht hatte.
Lilli verstand, was er meinte, aber sie lächelte ihn an.
»Na, wenn Sie die alle abschaffen würden, dann würde ich meine Stelle verlieren. Die B.I. lebt vom schönen Schein. Und das hier ist unsere Leserschaft. Oder sollte ich besser sagen …«, sie lachte frei, »… eher unsere Kundschaft. Sie kaufen uns, das ist wichtig. Ob sie uns auch lesen?« Sie hob spöttisch die Schultern. Schambacher musste lachen.
»Fräulein Kornfeld, ich habe gleich gemerkt, wes Geistes Kind Sie sind«, sagte er in gespielter Strenge, »das Fräulein sitzt dort, wo die Spötter sitzen«, zitierte er.
Lilli zuckte noch einmal mit den Achseln, diesmal in heiterer Resignation.
»Was wollen Sie?«, fragte sie leicht. »Ohne Spott hält man es in meinem Beruf nicht aus.«
»In meinem auch nicht«, sagte Schambacher, und sie lachten beide. Ein federleichtes Band des gegenseitigen Verstehens war geknüpft. Er gab sich Mühe, es nicht durch ein falsches Wort zu zerreißen, aber es war gar nicht nötig, denn Lilli fand ihn durchaus angenehm.
»Wissen Sie, was interessant ist?«, fragte er sie gut gelaunt.
»Was?«
»Ihr Name«, sagte er, »man kann kein Anagramm
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