Das Diamantenmädchen (German Edition)
holten sie alle synchron Zigaretten hervor, die sie sich in aller Gemütsruhe anzündeten. Das Publikum lachte. Dann, in unglaublicher Gewandtheit, begannen sie zu schaukeln, schwangen immer weiter aufeinander zu und dann, hast du nicht gesehen, hatten sie die Seile gewechselt, flogen im Takt eines Strausswalzers durch die Luft, dabei immer rauchend, als sei das alles gar nichts, glitzernd fragile Tänzer der Luft, und Lilli fragte sich gebannt, wie sie wohl die Seile erkennen konnten, die von hier aus fast unsichtbar waren.
»Phantastisch«, sagte sie leise zu Schambacher, der ebenso fasziniert nickte.
Die Artisten waren fast ganz unten angekommen, hingen nur einen halben Meter über der Bühne. Dann begannen sie, sich mit unglaublicher Körperbeherrschung Hand über Hand in ihre Seile zu rollen, schwebten alle zehn gleichmäßig nach oben und wickelten sich dabei immer mehr ein. Schließlich verschwanden sie im Bühnenhimmel. Das Orchester hielt auf einem zitternden Streicherton, dann hörte auch der auf und dann … ja dann kamen sie. Ein Karussell, das wild kreiselnd aus dem Bühnenhimmel hinunterflog – die Artisten hatten oben ihre Seile eingedreht, wie Kinder es mit den Schaukelseilen machen. Jetzt fielen sie aus dem Himmel, und während sie sich drehten, rollten die Seile ab und das Karussell wurde wie ein Stern immer größer, an seinem Ende flogen wirbelnd, glitzernd die Artisten, und weil sie sich abwickelten, wurde es auch immer langsamer, bis es mit einem rauschenden Finale des Orchesters exakt berechnet genau über der Bühne auslief und die Tänzer alle synchron auf der Bühne mit einem letzten Schwung zum Stehen kamen. Ein Sturm von Beifall folgte.
»Was für eine Körperbeherrschung!«, raunte Schambacher Lilli zu. Er bereute es nicht, sie hierher eingeladen zu haben.
Das Orchester setzte wieder ein, aber etwas leiser, und die Kunstradfahrerinnen kamen auf die Bühne. Ein hübsches Spiel, aber eine undankbare Aufgabe nach so einem Auftakt.
»Gefällt’s Ihnen?«, fragte Schambacher.
»Allmächtiger Braten!«, sagte Lilli im typischen Berlinerisch. »Ob’s mir gefällt? Wunderbar, Herr Kommissar.«
Schambacher musste schon wieder lachen. Fräulein Kornfeld war richtig. Eine patente Frau. Er mochte schlagfertige Frauen. Lilli aber konnte sich amüsieren und dabei trotzdem denken.
»Was ist nun mit Ihren Fortschritten im Diamantenraub?«, fragte sie. »Sie haben mir nicht geantwortet. Oder dürfen Sie mir nichts sagen?«
»Ich sehe schon«, sagte Schambacher schief grinsend, »Sie würden sich auch für die Polizei eignen. Das ist eigentlich meine Verhörmethode. Ablenken und dann wieder fragen. Aber bitte. Es ist kein Raub. Ganz normaler Mord. Aber der Ermordete hatte einen Diamanten dabei.«
Lilli erinnerte sich. Der Chef hatte ihr den Artikel als möglichen Aufhänger gegeben. Da war sie doch unversehens an die Quelle geraten – Reporterglück, dachte sie.
»Und Sie?«, fragte Schambacher, noch bevor sie ihn wieder etwas fragen konnte. »Wie kommen Sie denn gerade jetzt auf Diamanten?«
»Ach«, sagte Lilli, trank einen Schluck Champagner und sah auf die Bühne, wo die Kunstradfahrerinnen eben einen Handstand auf den Rädern vollführten, »ich habe nichts so Spannendes wie Mord. Wir haben mal neben Diamantenschleifern gewohnt. Der Sohn war ein Jugendfreund, und wir haben uns kürzlich erst wieder gesehen. Da sind mir all die alten Diamantengeschichten wieder eingefallen, und ich habe gedacht, dass man daraus doch einen schönen Artikel für die Berliner Dame machen könnte.«
Sie machte eine ironische Geste zum Publikum im Parkett, wo es tatsächlich allenthalben glitzerte.
»Tja«, sagte Schambacher auch halb spöttisch, »sehen Sie: Wir haben so viel gemeinsam. Auf die Diamanten!«
Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
Sie tranken und unterhielten sich weiter, als das Essen kam, erzählten sich skurrile Geschichten aus Redaktion und Präsidium, sprachen über die schweren Jahre während der Inflation und entdeckten, dass sie beide schon mit dem Skandalstar Anita Berber zu tun gehabt hatten: Lilli hatte sie einmal interviewt, Schambacher hatte sie im Präsidium getroffen, wo sie gewesen war, weil ihr Mann sie bestohlen hatte.
»Vor dem Krieg ist sie hier auch aufgetreten«, meinte er, »aber so skandalös wie in Wien war das noch nicht.«
Lilli war von der Berber fasziniert gewesen. Sie hatten fast das gleiche Alter, aber als sie ihr damals das erste Mal begegnet war, war sie
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