Das Diamantenmädchen (German Edition)
immer vereint. Wir müssen uns die Hände geben. Mit dem Stein in der Hand.«
Lilli, Paul und Wilhelm fassten sich an den Händen und standen jetzt im Kreis um den Stein, auf dem das tote Huhn lag.
»Ich schwöre«, sagte Wilhelm laut vor, und die beiden anderen sprachen ihm nach, »dass ich die Bruderschaft der Armanen bei der Strafe meines Lebens niemals verraten noch verlassen werde.«
»… niemals verraten noch verlassen werde«, murmelte Lilli mit Paul im Chor, und als sie das sagte und gleichzeitig Pauls Stimme hörte, fiel ihr ein, dass sich Paul ja jetzt auch für immer mit ihr verband, und sie sprach den Rest des feierlichen Schwures auf einmal sehr vergnügt mit.
»Die Smaragde«, befahl Wilhelm zum Schluss, als sie die Hände lösten, »müsst ihr immer, immer, immer bei euch tragen. Sie sind unser geheimes Zeichen.«
Lilli und Paul versprachen es, und Paul schlug vor, in der Werkstatt des Großvaters Löcher in die Steine zu bohren, damit man eine Schnur durchziehen und sie immer um den Hals tragen könnte. Dann war die Zeremonie vorbei und irgendwie wussten sie nicht so recht, was sie jetzt tun sollten. Eine Brise spielte in den Flaumfedern des Huhns.
»Was machen wir damit?«, fragte Paul.
Wilhelm überlegte kurz, dann nahm er kurzentschlossen das Huhn vom Stein und schleuderte es in hohem Bogen über das Gebüsch in Richtung des Teichs, den man von hier aus nicht sehen konnte. Man hörte es platschen. Zufrieden warf Wilhelm den Kopf hinterher. Dann war es wieder still. Lilli hatte ihren Smaragd am Gras vom Blut sauber gewischt und sah ihn sich an. Er leuchtete wunderbar. Und Paul hatte den gleichen, dachte sie froh. Aber dann hörte sie auf einmal ein Brummen, das sie sich nicht erklären konnte. Irgendwie schien es von oben zu kommen.
»Sch!«, machte sie zu den beiden Jungs, die das Brummen jetzt auch hörten. Es kam immer näher, aber man konnte nicht sagen, wo es herkam. Es war ein bisschen eigenartig, dieses Brummen mitten in der Sommerstille. Alle drei sahen nach oben in den leeren, makellos blauen Augusthimmel.
»Los, kommt«, drängte Paul, während Wilhelm und Lilli noch nach oben starrten, aber wegen des Gebüschs nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels sehen konnten. Die drei ließen sich wieder hastig auf alle Viere nieder und krochen durch das Unterholz. Flüchtig dachte Lilli daran, was ihre Mutter zu dem Zustand des Spielkleidchens sagen würde, das sie trug, beschloss aber gleichzeitig, ihr auf keinen Fall ihre Knie zu zeigen. Mama fand sowieso immer, dass sie sich nicht wie ein Mädchen benahm.
Sie war vorangekrochen, kam als erste aus dem Gebüsch und richtete sich auf. Und dann sah sie es. Majestätisch, mächtig und in der Sonne silbern glänzend stand das Luftschiff fast über ihnen.
»Wilhelm! Paul!«, schrie Lilli. »Der Zeppelin! Der Zeppelin!«
Wilhelm und Paul kamen aus dem Unterholz gebrochen und standen neben ihr. Das Brummen war jetzt ziemlich laut zu hören, als der Zeppelin über ihnen Richtung Stadtmitte schwebte. Der Zeppelin!
»Los!«, rief Wilhelm, und dann rannten sie. Querfeldein, über die staubige, in der Augusthitze flimmernde Chaussee, immer hinter dem Zeppelin her, jubelnd, schreiend, glücklich und vollkommen selbstvergessen. Der Zeppelin! Er kam nach Berlin! Überall sah man jetzt Kinder und Erwachsene; zu Pferde und auf Fahrrädern, aber die meisten zu Fuß, und alle strömten der Stadt zu, wo der Zeppelin an diesem Tag das erste Mal in Berlin landete. Für Lilli, zwischen Paul und Wilhelm rennend, als wären sie jetzt, durch die drei Smaragde verbunden, tatsächlich eins geworden, war dieser Tag, dieser leuchtende, blutrot aufregende, smaragdgrün geheimnisvolle, zeppelinsilbern fröhliche Tag der wahre Geburtstag, und sie erinnerte sich später nicht mehr daran, ob sie an ihrem eigentlichen Geburtstag nun den Roller bekommen hatte oder nicht. Aber den Smaragd hatte sie – genauso wie Wilhelm und Paul – von da an nie wieder abgelegt.
13
Lilli stand nackt in ihrer kleinen Wohnung am Bayerischen Platz vor dem Schrankspiegel, hatte zwei Kleider in der Hand, betrachtete sich kritisch und überlegte, was sie anziehen sollte. Eigentlich ärgerte sie sich ein bisschen über sich selbst, weil sie so einen Aufwand trieb. Gottchen, dachte sie, es war ja nicht so, als ob es ihr erstes Rendezvous wäre. Und dann wollte sie ja auch gar nichts von ihm. Er war sowieso zu klein. Sie mochte große Männer. Aber andererseits musste man deswegen ja nicht
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