Das Diamantenmädchen (German Edition)
ihr zehn Jahre älter vorgekommen und so hemmungslos frei, wie sie es niemals sein würde.
»Die Berber war eins meiner ersten Interviews«, erzählte sie lächelnd und ein bisschen verlegen, »ich war damals noch ganz schön naiv.«
»Wie wir alle«, seufzte Schambacher übertrieben und beugte sich ein wenig vor, »aber Sie machen mich neugierig. Erzählen Sie.«
Lilli dachte an das Interview und wurde selbst im Rückblick noch ein wenig rot.
»Ach, ich bin da so hineingeschlittert«, sagte sie und trank einen Schluck Champagner. »Ich bin neu in der Redaktion, irgendjemand ist ausgefallen, er drückt mir einen Stapel Zeitungsausschnitte in die Hand und sagt: Gehen Sie man immer hin. Auf die können Sie sich sowieso nicht vorbereiten.«
Schambacher sah sie lächelnd an.
»Nee«, sagte er dann, »wirklich nicht. Die muss man gesehen haben.«
Lilli musste halb darüber, halb über sich selbst lachen.
»Ich war in ihrer Wohnung in Berlin. Das war 1923, sie war gerade aus Wien ausgewiesen worden. Sie wissen schon, wegen ihrer Nackttänze und weil sie immer irgendwelche Verträge nicht eingehalten hat.«
»Soviel ich weiß«, sagte Schambacher maliziös, »war jede einzelne Vorstellung in Wien ausverkauft.«
Lilli lehnte sich zurück und sagte boshaft:
»So ist es immer, oder? So ein Skandal ist doch erst wirklich schön, wenn man ihn mit eigenen Augen gesehen hat … Na, auf jeden Fall saß sie da auf ihrem Sofa, im Pelz, Monokel im Auge, die Wanowsky neben ihr, und ich stelle dann so meine bürgerlichen Fragen. Was ihre Pläne sind und weshalb sie aus Ungarn zurück ist. Und sie sieht mich die ganze Zeit so komisch an und antwortet immer nur auf die Hälfte der Fragen und manchmal ganz sinnloses Zeug.«
»Na ja«, sagte Schambacher, »Kokainistin eben. Morphium hat sie auch genommen. Man sollte das Zeug ganz verbieten!«
»Sie hatte nur den Pelz an. Darunter war sie nackt«, sagte Lilli, »und dann hat sie sich irgendwann zur Wanowsky gebeugt und sie auf den Mund geküsst. Ich wusste gar nicht mehr, was ich sagen sollte. Und die ganze Zeit ist dieses Äffchen auf den beiden herumgeturnt. Sie hatte ein Äffchen …«
»Und das hat Sie schockiert«, sagte Schambacher mit einem Anflug von Überlegenheit, »das sehen wir auf dem Alex jeden Tag. Perverse. Päderasten. Sie glauben gar nicht, was es alles gibt … widerlich.«
Lilli sah auf, lehnte sich mit ihrem Glas zurück und musterte ihn. Er fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt hatte.
»Ach kommen Sie«, sagte sie dann gelassen provozierend, »als ob Ihnen das nicht gefallen würde. Davon träumt ihr Männer doch alle, oder? Zwei nackte Frauen …«
Schambacher wollte sich schon verteidigen. Was dachte sie sich eigentlich? Aber dann hielt er inne. Warum fühlte er sich denn so angegriffen? Weil sie mich durchschaut, gab er sich im Geist selber ironisch die Antwort.
»Wissen Sie was«, sagte er schließlich und bemühte sich um dieselbe Gelassenheit, die sie hatte, »wahrscheinlich haben Sie recht. Scheint so, als wären wir so, wir Männer.«
Er trank sein Glas leer. Unvermittelt lächelte Lilli ihn sehr gewinnend an.
»Sie gefallen mir, kleiner Doktor«, sagte sie dann frech, »Sie sind ja richtig ehrlich.«
Vom Orchestergraben erklang wieder ein Tusch. Wie ein ironischer Kommentar zu ihrem Gespräch kamen die Jerry-Girls auf die Bühne. Fünfundzwanzig identische, lachende Mädchen. Sehr knappe Uniformjacken. Tschakos mit weißen Federn, die noch einmal halb so lang wie die Girls selber waren. Womöglich noch knappere kurze Hosen als die Jacken. Fünfundzwanzig sehr lange Beine, die so präzise geworfen wurden, als seien die Mädchen eine einzige Maschine.
»Darf ich hinsehen?«, fragte Schambacher spöttisch lachend durch den Lärm der Musik.
Lilli lachte auch.
»Nur zu«, sagte sie, »aber machen Sie sich keine Illusionen. Die werden gehalten wie im Kloster. Gemeinsames Essen, gemeinsames Beten. Die sind ungefähr so erotisch wie ein Stück Holz. Da ist keine Berber dabei.«
Schambacher grinste. Es war, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis. Er winkte dem Kellner und bestellte noch eine halbe Flasche. Lilli sah ihn an und dachte, wie seltsam diese Zeit war, in der durch Krieg und Revolution alles durcheinander geworfen worden war, dass ein Mann wie er Polizist geworden war und sie selber Journalistin. Ihre Mutter hätte sich nie vorstellen können, dass sie einmal als unverheiratete Frau mit einem verheirateten Mann – sie hatte den
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