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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Beruf.
    »Nein, Fräulein Kornfeld«, sagte er weich, »das ist es nicht. Manchmal …«, er stockte, »… manchmal holt mein Beruf mich ein, wenn ich es am wenigsten will. Bitte verzeihen Sie!«
    Er beugte sich über ihre Hand, und sie merkte, dass er sie wirklich mochte.
    »Ein andermal bin ich aufmerksamer«, versprach er. » Wenn Sie mir denn noch einmal vergeben wollen.«
    »Sie müssen alles wieder gutmachen!«, sagte Lilli wie ein kleines, verzogenes Mädchen, und da lachte er wieder.
    »Werde ich!«, versprach er.
    Sie gingen auf die lärmtosende, windige, werbungsblinkende Friedrichstraße und, wie Großstädter sind, trennten sich dort mit einem schnellen Händedruck.
    »Ich rufe Sie an«, sagte Schambacher, »verlassen Sie sich darauf!«
    Lilli lächelte, sagte aber nichts, und dann ging sie mit sicheren, schnellen Schritten zur U-Bahn.
    Wieder eine Nacht in Berlin, dachte Schambacher melancholisch, so viele Schicksale, und mir macht dieses eine etwas aus. Aber dann bog er zu einer der kleinen Kneipen ab, die er kannte, um sich zu betrinken. Er hatte jetzt wirklich keine Lust mehr, nach Hause zu gehen.

14
    Was für ein eigenartiger Herbst! In der einen Woche war es dunkel, kalt und regnerisch, fast schon wie im Winter, in der nächsten war der Himmel blau über die Stadt gespannt, der Wind wehte lau, und die Farben der Stadt leuchteten noch einmal wehmütig durch eine klare Luft, die nichts mehr von dem leicht staubigen Dunst heißer Sommertage in sich trug. Sogar der Dampf aus der Maschine, die die Bahn ratternd und stoßend über die Brücke am Gleisdreieck zog, löste sich im hellen Blau des Morgenhimmels rasch in Nichts auf. Lilli sah aus dem Fenster der Bahn nach unten. Die Straßen waren wie Flüsse, durch die Menschen strömten. Anderthalb Millionen Menschen waren in Großberlin unterwegs. Jeden Montagmorgen nach einem Sonntag, den sie vielleicht zum Abschluss der Saison am Nicolassee in einer der Seewirtschaften verbracht, vielleicht das Ruderboot für den Winter eingemottet und mit den Kindern Föhrenzapfen im Wald gesammelt hatten. Die Familienbäder waren längst geschlossen, aber viele fuhren am Wochenende eben doch noch hinaus; vielleicht einfach, um ein letztes Mal Atem zu schöpfen für einen Winter in engen Wohnungen, deren Fenster alle auf Hinterhöfe gingen, in die jetzt monatelang keine Sonne mehr scheinen würde.
    Nach dem Nollendorfplatz lief der Zug in schnellem Bogen hin-
unter. Lilli stellte sich immer vor, dass es sich so anfühlen musste, wenn man mit dem Flugzeug landete. Für ein paar Sekunden waren sie gleichauf mit dem Gewimmel auf der Straße, dann fuhr die Bahn unter die Erde und das Rauschen wurde mit einem Schlag sehr laut. Am Wittenbergplatz war der Betrieb ungeheuerlich. Es war die Zeit der Angestellten – die Arbeiter waren schon vor einer Stunde auf dem Weg in die Fabriken gewesen. Hundert Bürofräuleins und Verkäuferinnen und Telephonistinnen drängten aus dem Wagen, hundert wieder hinein, sie sahen aus, als hätte man sie uniformiert. Alle trugen den gleichen Hut schräg auf den kurzen, gewellten Haaren; alle trugen sie kurze Mäntelchen über ihren Etuikleidern, alle hasteten in den gleichen lackierten Schuhen auf mehr oder minder hohen Absätzen. Und die Aktentaschenmänner. Billige, abgegriffene Hüte, schlecht gebundene Schleifen an Kragen, die gestern schon gewechselt gehört hätten; die Jacketts an den Ärmeln immer zu kurz und an den Ellenbogen glänzend. Und alle hatten den gleichen Gesichtsausdruck: Alle sahen müde aus, alle sahen aneinander vorbei, man stieß sich und entschuldigte sich nicht; das mürrische Montagmorgenschweigen so einer großen Menge lag mit bedrückender Wucht über allem. Lilli hatte einen Sitzplatz, aber nun stand sie lieber auf. Sie konnte es nicht leiden, wenn die Leute so nah vor ihr standen und auf sie herabsahen. Es roch nach Parfum und nach billiger Seife, es roch schon nach Mottenpulver. Auch so ein typischer Herbstgeruch, wenn die Wintermäntel das erste Mal wieder aus dem Schrank geholt wurden, es roch nach Wurststullen und nach kaltem Zigarrenrauch. Lilli atmete flach. Selber schuld, dachte sie, sie hätte ja nicht zur Hauptverkehrszeit losfahren müssen. Der Zug ruckte an, es ging nach Westen. Je mehr sie sich vom Zentrum entfernte, desto mehr leerte sich der Waggon, und Lilli setzte sich wieder. Zweimal musste sie noch umsteigen, dann hielt der Omnibus endlich an ihrer Haltestelle. Es war ein sehr eigenartiges

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