Das Diamantenmädchen (German Edition)
noch nie von Amtshilfe gehört hatten. Manchmal war das preußische Verwaltungsrecht eine Katastrophe. Er hatte Verwaltungsrecht schon im Studium nicht leiden können. Bürgerliches Recht und Strafrecht hatte er gemocht. Aber Öffentliches Recht war schrecklich. Vor allem in Preußen. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen zwei kleine Stapel mit Quittungen und Notizen. Die einen waren bereits gelocht und durchgerechnet. An den anderen saß er gerade. Es war der richtige Tag dafür. Es regnete in Schnüren, und die Zentralheizung ging noch nicht so richtig. Überall wurde gespart! Er hatte die Tür zum Flur offen gelassen. Denn er mochte es, wenn er ein bisschen vom Betrieb mitbekam. Ellys hübscher Lockenkopf erschien im Türrahmen.
»Gennat will wissen, ob wir nicht bald mit dem Diamantenmord fertig sind«, sagte sie, »er hat einen Kindsmord in Dahlem, und es ist keiner frei.«
Schambacher sah zu ihr auf.
»Der Alte weiß ganz genau, wie weit wir sind«, antwortete er zerstreut, »Nebe ist doch eigentlich fertig. Die können das machen.«
Elly zog ein Gesicht. Sie konnte Nebe auch nicht leiden.
»Das kann der doch gar nicht«, sagte sie nicht sehr leise.
»Elly!«, wies Schambacher sie streng zurecht, aber sie legte bloß den Kopf schief, und er musste lachen.
»Sagen Sie das nicht dem Chef«, mahnte er sie.
»Als ob er es nicht längst wüsste«, murmelte Elly und wollte wieder verschwinden. Schambacher hielt sie auf.
»Elly, sagen Sie, wissen Sie, wo Werner ist?«
Elly wies mit dem Daumen vage hinter sich.
»Im Telegraphenbüro, glaube ich. Da war er jedenfalls vorhin.«
»Wenn Sie ihn sehen, wollen Sie ihn zu mir schicken?«, bat Schambacher. »Er hat mir wie immer die schlimmsten Quittungen dagelassen.«
Elly nickte und verschwand. Gleich darauf hörte man das vertraute Klappern ihrer Schreibmaschine. Von unten drang fernes Geschrei aus einem der Büros. Trettin verhörte wohl wieder. Schambacher verzog den Mund, nahm eine neue Quittung und starrte darauf. Sie stammte aus der Bar, in der M’banga gespielt hatte. Seine zwei Manhattans waren dort säuberlich vermerkt. Drei Mark achtzig hatte einer gekostet. Dann waren da ein paar Rechnungen von Togotzes: zwei Himbeergeist und Eiersalat aus einer Bierschwemme, in der er sich nach M’banga erkundigt hatte. Drei Cocktails in einer Nachtbar. Man konnte ja nun auch nicht immer nur Mineralwasser trinken, wenn man in dem Milieu recherchierte. Dann noch ein Paar Bockwürstchen, nachdem sie bei Ullstein gewesen waren. Schambacher seufzte und zog seinen Block heran. Bier, Kaffee und Stullen durfte jeder Polizist in unbegrenzter Menge im Dienst zu sich nehmen und als Spesen abrechnen. Alles andere nicht. Er fing eben an, alles umzurechnen, als Togotzes ins Büro stürmte.
»Sag mal: ›Werna Togotzes ist der knorkeste Blaue, den ick jemalen jesehen habe‹«, verlangte er fröhlich.
»Ich hab einen Eid geschworen, möglichst die Wahrheit zu sagen«, antwortete Schambacher trocken, »deshalb kann ich das nicht. Warum rechnest du deine Quittungen nicht selber um?« Entnervt hielt er eine Handvoll Rechnungen hoch.
»Weil«, sagte Togotzes sehr vergnügt und wedelte seinerseits raschelnd mit einem dünnen Papier herum, »einer hier ja die richtige Polizeiarbeit tun muss. Was habe ich hier?«
Er hielt ihm das Papier unter die Nase.
»Ein Kabel?«, fragte Schambacher nun doch nicht mehr ganz unbeteiligt. »Woher?«
Togotzes setzte sich auf Schambachers Schreibtischkante und beugte sich onkelhaft vor:
»Aus dem Märchenland Afrika. Ich habe mir Bammes, du weißt schon, den Gerichtsdolmetscher, unter die Arme geklemmt und ihn meine fünfzehn bis zwanzig Kabel nach Deutsch-Südwest übersetzen lassen. Ich habe dort bei jeder Behörde gebittelt und gebettelt. Und hier hab ich’s!«
Schambacher drehte die Augen nach oben, aber jetzt war er doch gespannt, was Togotzes so freute.
»Nu zeig mal!«, sagte er und haschte nach dem Papier, das Togotzes rasch aus der Reichweite zog.
»Gemach!«, grinste Togotzes, stellte sich in Positur, nahm das Monokel ins Auge und sah seinen Freund und Kollegen streng an.
»Aufgemerkt!«, befahl er. Schambacher fügte sich lachend und setzte sich in seinem Stuhl gerade hin.
»Herr M’banga nämlich«, sagte Togotzes, »war gar nicht immer Jazztrommler.«
»Ja, ja«, sagte Schambacher, »weiß ich. Er war ja mal bei den deutschen Truppen.«
»Ja«, gab Togotzes zu, »aber auch das war er nicht immer. Zwischen 1916 und 1921
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