Das Diamantenmädchen (German Edition)
Sekretärin Wiener Würstchen im Dutzend bringen und glaubte dabei, dass es keiner merkte, aber andererseits war er so ein präziser, logischer und disziplinierter Denker, dass er Schambacher immer wieder überraschte.
»Der Mann hatte einen Rohdiamanten bei sich«, ging Togotzes seine Notizen durch, »von dem ein Fachmann glaubt, dass er auch aus Afrika stammt. Es wird nicht der einzige gewesen sein. Und das bringt uns zu unserem Hauptverdächtigen. Ernst, du bist dran.«
Schambacher blätterte in seinem Notizbuch.
»Die Sache ist die: Unser Toter hatte zudem einen Smaragdanhänger bei sich, von dem wir wissen, dass dieser van der Laan ihn getragen haben muss. Ob er ihn deswegen auch umgebracht hat, wissen wir noch nicht, aber der Mann hat ein schwaches Alibi, das wir noch mal abklopfen müssen.«
Gennat murmelte etwas, das keiner verstand.
»Wie bitte?«, fragte Schambacher höflich nach.
»Das Motiv!«, sagte Gennat jetzt deutlicher. »Was ist mit dem Motiv?«
Schambacher musste ein Grinsen unterdrücken. Gennat hatte so undeutlich gesprochen, weil er eben fast unbemerkt von einer Stulle abgebissen hatte, die wohl irgendwo auf seinem mächtigen Schoß unter dem Tisch verborgen lag.
»Tja«, zuckte Togotzes die Achseln, »wir haben noch keins. Wir nehmen mal an, dass der Schwarze mehr als einen Diamanten hatte. Dass er vielleicht deshalb umgebracht wurde. Aber das ist alles Spekulation«, sagte er mit einem Seitenblick auf Nebe, »seriös ist bisher gar nichts. Vor allem wissen wir auch nicht, wieso M’banga als Trommler bei einer dieser Jazzkapellen eingesprungen ist. Kurz gesagt – wir sind noch am Sammeln.«
»Zurück in die Steinzeit«, sagte Gennat vergnügt, »Jagen und Sammeln. Aber so sind wir Kriminaler.«
»Wir hätten gerne sein Haus durchsucht«, merkte Schambacher wie nebenbei an, »womöglich finden sich da noch ein paar Hinweise.«
Gennat sah ihn mitleidig an.
»Mein lieber Doktor Schambacher«, sagte er dann väterlich milde, »Sie haben doch in Rechtswissenschaft promoviert. Sie wissen doch Bescheid. Vielleicht, wenn Sie zu unserem Herrn Reichspräsidenten gehen und Männchen machen, dann setzt der Ihnen wegen Ihrer schönen Augen bestimmt die Grundrechte außer Kraft. Aber beim Richter werden Sie mit Ihren bisherigen Beweisen nicht weiterkommen.«
Jetzt grinste Nebe hämisch. Schambacher lehnte sich zurück. Er hatte ja eigentlich nichts anderes erwartet. Warum hatte er bloß den Mund nicht gehalten?
»Na«, sagte Gennat abschließend, »wenn wir weiter nichts haben, denn gehen Sie man alle wieder an Ihre Arbeit, meine Herren. Wir sehen uns in einer Woche wieder.«
Er erhob sich schwerfällig, und auch alle anderen rückten ihre Stühle.
Togotzes sah Schambacher etwas von oben herab an:
»Wir hätten gerne sein Haus durchsucht«, wiederholte er spöttisch, »und ich hätte gerne einen Maybach und’n Pferd. In welcher Welt lebst du, mein Lieber?«
»Ja, ist ja gut«, erwiderte Schambacher, »ich weiß. Ich kümmere mich noch mal um Fräulein Kornfeld, und du kannst ja vielleicht noch mal ins Auswärtige Amt.«
»Ja, ja«, sagte Togotzes in übertriebener Ergebenheit, »für ihn die Damens, für mich die alten Herren. Ich hätte auch einen Doktor machen sollen«, fügte er noch boshaft hinzu, aber dann zog er los.
Schambacher dagegen blieb noch einen Augenblick auf dem Flur stehen. Das Linoleum glänzte schwach. Vor den Fenstern hing ein grauer Herbstvormittag. Die Luft war diesig und regenverschleiert. Er dachte an Lilli Kornfeld und fragte sich, warum ihm so viel daran lag, ob sie die Wahrheit gesagt oder gelogen hatte. Oder ob es gar nicht das war, sondern etwas, das noch viel tiefer lag. Er war doch gar nicht so unglücklich mit seiner Frau, dachte er, als er langsam zum Treppenhaus ging, was bedeutete ihm eigentlich dieses Mädchen, das er noch kaum kannte? Aber eigentlich, gestand er sich widerwillig ein, als er die Treppen hinunterstieg, wusste er es ganz genau. Er mochte es vor sich selbst wahrscheinlich nur nicht wirklich zugeben. Es war diese Gier nach einem anderen Leben, die in ihm war, einem Leben jenseits der Disziplin, die er sich immer auferlegte, einem Leben abseits der dicken Bürgerlichkeit, in die er allmählich hineinzuwachsen drohte. Er war achtundzwanzig Jahre alt. Er hatte einen Krieg überlebt. Er wollte richtig leben. Und auf irgendeine Weise stand Lilli Kornfeld für so vieles, was er mochte: Unbekümmertheit und Frische. Energie und
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