Das Diamantenmädchen (German Edition)
Selbstständigkeit und Mut. Und auch … er unterbrach sich selbst. Was tat er da? Lilli Kornfeld war eine Zeugin. Er musste … ach, dachte er wütend, zum Teufel damit. Er zog die große Tür auf und sah auf den Alex, der unter einem niedrigen, herbstlichen Himmel trist dalag. Herbstverkauf, stand in großen Lettern auf der Fassade von Hermann Tietz. Die Leute wuselten unter großen schwarzen Schirmen in das Kaufhaus.
Ja, rennt nur, rief Schambacher verächtlich im Geist, kauft und hortet! Als ihm aber einfiel, dass er auch noch einkaufen musste, klumpte es sich in seinem Magen zusammen, und er hatte Mühe, die Gedanken an ein großes Ausbrechen, in dem Lilli Kornfeld vorkam, zurückzudrängen. Als er aus der Tür trat, begann es noch stärker zu regnen, er schlug fluchend den Kragen hoch und begann zu laufen.
20
Lilli saß in der lärmenden Redaktion im Ullsteinhaus. Draußen regnete es, und der Saal wirkte trotz der hohen Fenster und der zahllosen Deckenlampen schon fast winterlich düster. Der Wind trieb den Regen schräg gegen die Scheiben, dort lief das Wasser in langen Bahnen auf die Fensterbretter. Die Gummibäume in den Töpfen vor den Fenstern ließen die Blätter hängen. Der Kaffeebote war heute noch gar nicht da gewesen und die Sekretärinnen, die sonst auf dem Dach ihre Morgenübungen machten, waren schlecht gelaunt, obwohl sie doch, wie Lilli boshaft dachte, sicher froh waren, wenn sie sich mal einen Morgen nicht abstrampeln mussten. Es war, wie immer einen Tag vor Redaktionsschluss, hektisch und laut. Die Schreibmaschinen klapperten überall, unterbrochen von dem regelmäßigen »Ping« am Ende der Zeile, Telephone klingelten, und der schwere, graue Teppich aus zwanzig Gesprächen im Saal legte sich dämpfend auf alle Gedanken. Lilli hatte zwar wie jeden Morgen schon ein Blatt in ihre Maschine gespannt, und eigentlich hätte sie ein neues Farbband einsetzen sollen, aber im Augenblick ordnete sie nur die Unterlagen auf dem Schreibtisch und ihre Gedanken.
Seit sie sich mit Paul getroffen und ihm das falsche Alibi gegeben hatte, schwankte sie zwischen aufgeregter, halb ängstlicher Sorge und einer elektrisierenden Erregtheit. Sie war in einen Kriminalfall verwickelt! Sie hatte ein paar Mal mit Paul telephoniert, um sich endlich mit ihm zu treffen, aber er hatte sehr zurückhaltend reagiert, und das ärgerte sie. Schließlich tat sie etwas für ihn und hatte eine Reihe von Fragen, und außerdem mussten sie sich unbedingt besser absprechen. Immerhin: Für den morgigen Abend hatten sie sich verabreden können. Inzwischen hatte Lilli angefangen, mit noch mehr Energie über Diamanten zu recherchieren. Sie hatte sich ja eigentlich immer dafür interessiert, seit ihrer Kindheit schon. Die Geschichten von Großvater van der Laan waren wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht gewesen, die ihre Kinderträume bunt gemacht hatten. Und später waren es Pauls Geschichten gewesen, die Diamanten so untrennbar mit dieser ersten großen Jugendliebe verbunden hatten. Aber die Steine als Schmuck hatten ihr – abgesehen von Pauls Ring – nie viel bedeutet. Sie zog sich wohl gerne sehr modisch an, aber es konnte durchaus auch Modeschmuck sein, den sie dazu trug. Jetzt aber, nachdem sie eher zufällig die Diamantenserie begonnen hatte, hatte vor allem der eigenartige Mord, in den sie unversehens verwickelt war, ihr Interesse für Diamanten über normale Neugier hinaus geweckt. Sie hatte in der vergangenen Woche, noch bevor sie bei Paul gewesen war, schon einen Artikel über die Flut russischer Diamanten in Deutschland geschrieben. Nach der Revolution waren Juwelen aus fast allen Adelshäusern Russlands mit den Flüchtlingen nach und nach in Berlin aufgetaucht. Ein Juwelier in der eleganten Tauentzienstraße hatte immer noch den gesamten Kronschmuck einer russischen Großfürstin im Schaufenster. Bei einem Besuch Lillis hatte er ihr aus Jux sogar ein Diadem aufgesetzt. Müller hatte sie so photographiert und ihr das Photo geschenkt. Es lag jetzt auf ihrem Schreibtisch, und sie fand, dass sie darauf fremd und überheblich aussah. Wie schade es war, dass sie nicht in Farbe photographieren und drucken konnten. Photos erfassten die Brillanz und das Licht der Diamanten einfach nicht. Man hätte Aquarelle gebraucht.
Aber vielleicht noch faszinierender waren natürlich die Geschichten, die sich um die Diamanten spannen. Lilli hatte ihren Artikel über das Diamantenschleifen fertig. Sie hatte sich vom Bilderdienst des Verlags
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