Das Diamantenmädchen (German Edition)
nämlich war Herr M’banga was, hm?«
»Werner!«, sagte Schambacher halb lachend, halb drohend. »Wenn du’s mir nicht gleich sagst, wird es Nebe sein, der versuchen wird, einen Kollegenmord aufzuklären. Da wir Nebes Fähigkeiten kennen, wird dein Tod dann auf ewig ungesühnt bleiben, und ich werde mit achtzig noch meinen Enkeln erzählen, wie ich einst aus Ungeduld gemordet habe.«
Togotzes musste auch lachen.
»M’banga war vier Jahre lang Aufseher in den Diamantenfeldern von Kolmannskuppe«, sagte er dann stolz.
»Ach nee!«, sagte Schambacher verblüfft.
»Ja«, entgegnete Togotzes trocken. »Anfang 1921 hat er dann ordentlich gekündigt, seinen letzten Monatslohn ausgezahlt bekommen und taucht erst wieder als Toter am Nollendorfplatz auf. Mit einem Rohdiamanten in der Tasche. Na, wat sachste?«
»Werner Togotzes ist der knorkeste Blaue und so weiter …«, zollte ihm Schambacher mit übertriebener Betonung Anerkennung. Und dann überlegte er, was das bedeutete. Eins war jedenfalls sicher: Ein Diamantenaufseher wurde umgebracht und hatte den Anhänger eines Diamantenschleifers am Jackett. Das war kein Zufall mehr.
»Was rechnest du da eigentlich?«, fragte Togotzes jetzt ein wenig ernüchtert und griff nach den Notizen, die Schambacher gemacht hatte.
»Unsere Spesen in Bier und Stullen um«, sagte Schambacher. »Sonst bleiben wir auf unseren Kosten sitzen.« Er nahm ihm den Zettel wieder weg und las ab: »Wir beide haben in der letzten Woche dreiundfünfzig Bier und achtzehn Stullen gehabt.«
Togotzes lachte. Schambacher dagegen legte den Zettel beiseite und fragte sich gerade, wieso die Verrechnungsstelle dreiundfünfzig Bier pro Woche anstandslos genehmigte, aber keine zwei Cocktails, als Elly wieder den Kopf in die Tür steckte:
»Herr Schambacher, Telephon für Sie. Ein Fräulein Kornfeld.«
»Ach nee«, kommentierte diesmal Togotzes maliziös grinsend.
»Schnauze!«, sagte Schambacher nur, aber er stand doch sehr schnell auf, um an den Apparat zu gehen. In jedem Fall gab es so einen Punkt, wo die Dinge begannen, Fahrt aufzunehmen, und er hatte das Gefühl, als sei es jetzt so weit.
22
Sie hatten sich zum Five o’Clock Tea in Richard’s Bar in der Friedrichstraße verabredet. Lilli hätte den Studebaker der Redaktion benutzen können, den sie manchmal auch übers Wochenende hatte, aber in der Friedrichstraße war sowieso Parkverbot, und es gab einfach zu viele Droschken, Lieferwagen, Gespanne und Leiterwagen, die sich darüber hinaus um das Verbot nicht kümmerten, sodass sie um diese Zeit ohnehin nur im Schritttempo hätte fahren können. Sie eilte durch die Französische Straße. Der ganze Tag war trübe und regnerisch gewesen, und jetzt hatte man das Gefühl, dass es schon anfing zu dämmern, obwohl die Tage noch gar nicht so kurz waren. Die Lichtreklamen waren noch nicht angeschaltet, und die Straßen lagen glänzend grau da, düster, nass und unfreundlich lärmend. Mürrisch wirkt die Stadt heute, dachte Lilli. Unter dem geschwungenen Übergang zwischen zwei Häusern in der Französischen Straße, der Lilli als Kind immer an den Stich der Seufzerbrücke in Venedig erinnert hatte, saß ein Kriegsversehrter auf einer uralten Militärdecke, hatte seine Mütze neben sich gelegt und bettelte. Er hatte keine Beine mehr, sein Rollstuhl stand ordentlich neben ihm.
»Hamse nich n’Jroschen für’n alten Soldaten?«, fragte er mechanisch und ohne Lilli anzusehen, als sie vorbeiging. Lilli sah geradeaus und schämte sich ein wenig, wie immer, wenn sie nichts gab, aber es waren ja auch so viele Bettler in dieser Stadt. Manchmal hatte sie auch schon aus Mitleid eine ganze Mark gegeben, aber heute hatte sie es einfach eilig, ins Warme zu kommen. Sie war jetzt an der Ecke zur Friedrichstraße, wo Richard’s Bar lag. Ein riesiger, eleganter Maybach parkte genau in der Kurve, zwei Räder auf dem Trottoir. Als Lilli sich an ihm vorbeizwängte, sah sie durch die hohen, spiegelblank geputzten Scheiben im Inneren drei weiße Pudel, die gelangweilt auf der lederbezogenen Rückbank lagen. Man hatte ihnen weiße Federkrönchen ins Fell gesteckt, und Lilli wusste jetzt, wem der Maybach gehörte. Fritzi Massary war wohl eben einkaufen. Klar, die konnte sich auch die Strafe leisten, wenn sie aufgeschrieben wurde. Lilli kräuselte die Oberlippe und ärgerte sich gleichzeitig über sich selbst: Warum war ihr das nicht genauso egal wie der Bettler eben? Sie zog die große Glastür zur Bar auf und trat ein.
Weitere Kostenlose Bücher