Das Disney World Komplott
unterwegs.«
»Mein Eindruck ist, daß diesmal jemand nachgeholfen hat.«
Der karge Rest von Lebendigkeit in Sandmanns Augen drückte Besorgnis aus. »Haben Sie schon Papa gefragt?«
»Wo finde ich ihn?«
»Im Hafen. Auf Kundenfang für sein Boot.«
Papas Boot hatte den Namen ›Die Stunde schlägt‹. Wie er da auf Deck saß, sah er Hemingway noch ähnlicher als am Vorabend im Captain Hornblower. Er wirkte nicht so, als wäre ihm sonderlich daran gelegen, Leute anzulocken, die sein Boot chartern sollten. Vielmehr zog er es anscheinend vor, den Tag damit herumzubringen, sich aus einer Karaffe Cuba Libre in einen Plastikbecher zu füllen.
»Hallo, Papa«, rief Blaine und sprang vom Kai an Bord, ohne eine Erlaubnis abzuwarten.
Der Grauhaarige setzte den Becher ab und drehte den Kopf. »Kenne ich Sie?«
»Sie kennen Harry.«
Eine Erinnerung durchzuckte die blutunterlaufenen Augen. »Sie waren gestern abend in unserem Stammlokal.«
»Harry brauchte meine Hilfe. Und jetzt ist er fort.«
»So was kommt vor, meistens dann, wenn er irgendwas im Kopf hat, über das er länger nachdenken muß.«
»Und im Moment hat er so eine Nuß zu knacken?«
Papa hob die Schultern. »Wahrscheinlich. Er setzt sich dann spät abends noch in 'n Boot. Den erstbesten Kahn, den er sieht. Betrunken oder nüchtern, ganz egal. Er schätzt, wieviel Benzin im Tank ist, und fährt so weit hinaus, wie er kann, bis er umkehren muß. Er treibt alles gern auf die Spitze, auch sein Glück. Aber bis jetzt ist er jedesmal wiedergekommen.«
»Gibt es ein Boot, das er häufiger benutzt?«
»Ja, mein Schlauchboot.«
»Darf ich es mal sehen?«
»Klar, dürfen Sie, wenn's da wär. Als ich heute früh nachgesehen habe, war's weg.«
»Das haben wir unmittelbar hinter der Ausgangstür der Kellerräume gefunden«, sagte Killebrew zu Susan. Auf dem Tisch des Wohnmobils lagen die verschiedensten Gegenstände verstreut.
Zwei davon rochen durchdringend nach Seife und einem scharfen Desinfektionsmittel, weil sie in einem in der Nähe abgestellten Anhänger unter der mobilen Dekontaminationsdusche gelegen hatten. Susans Haar trocknete zu filzigen, strähnigen Zotteln, aber sie scherte sich nicht darum. Killebrew saß momentan in einem Ersatzrollstuhl, sein eigentlicher Rollstuhl wurde noch der Dekontaminierung unterzogen. Susan wartete gespannt, während er sich vorbeugte und einen verschlissenen, abgetragenen Rucksack aus blauem Nylon vom Tisch nahm.
»Ich habe den Inhalt aufgelistet«, fügte Killebrew hinzu. »Die Liste ist da auf dem Klemmbrett vor Ihnen.«
Susan überging seinen Vorschlag und griff statt dessen in den Rucksack. Er enthielt vier Bücher, ziemlich dicke Schwarten. Susan holte das oberste heraus, einen schweren Band mit dem Titel Fortgeschrittene organische Chemie. Das zweite, fast ebenso dicke Buch hieß Molekularphysik und Quantenmechanik. Das dritte und vierte Buch, Zellphysiologie, und Angewandte Chemie, waren großformatige Paperbacks. Die letzten beiden waren Susan bekannt; sie hatte sie in älteren Auflagen während ihrer Zeit als Medizinstudentin gelesen.
»Lehrbücher«, sagte sie, betastete den jetzt flachen Rucksack. Ihre Finger strichen über das rauhe, blaue Material. »Nirgends ein Name drin?«
»Nein, ich habe schon nachgesehen.«
Susan schob die Hand in den Rucksack und brachte mehrere lose Zettel ans Licht.
»Kassenzettel«, konstatierte sie, während sie diese glättete und vor sich ausbreitete. »Von einem Supermarkt in Harvard. Gehe ich richtig in der Annahme, daß der Rucksack, da er hier auf dem Tisch liegt, keinem der Augenzeugen gehört, deren Personalien festgestellt wurden?«
Killebrew sah zu ihr hoch. »Es hat sich niemand gefunden oder gemeldet. Und es sind darauf nur die Fingerabdrücke einer Person entdeckt worden. Das FBI hat sie schon überprüft, aber ohne Ergebnis.«
Susan betrachtete die vor ihr ausgelegten Papierchen. »Und das sind Kassenzettel über Barkäufe, also helfen sie uns auch nicht weiter. Na, wenigstens stehen Datum und Uhrzeit drauf. Vielleicht haben wir Glück.«
»Die Einkäufe liegen aber schon ein paar Wochen zurück«, meinte Killebrew skeptisch. »Ob wir uns davon etwas versprechen können, ist zweifelhaft. Allerdings werden in Harvard im Sommersemester nur wenige Studenten zugelassen, also dürfte es nicht zu schwierig sein, die Studenten ausfindig zu machen, deren Fächer die Lektüre dieser Lehrbücher erfordern. Wahrscheinlich stellt sich der Eigentümer als irgendein
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