Das Disney World Komplott
keine andere, geschweige denn bessere Alternative. Ohne Beschäftigung hätte er zuviel Zeit, und Zeit fürchtete er mehr als alles andere, ausgenommen den Schlaf. Der Schlaf flößte ihm das größte Entsetzen ein. Darum hatte er vor fast zwei Jahren das Schlafen gänzlich aufgegeben. Dafür hatte er einen guten Grund: Einmal hätte Schlaf ihn fast das Leben gekostet.
Haslanger blieb vor Colonel Fuchs stehen. Sein Haß auf diesen Mann war heute noch größer als sonst. In tadellos geschneiderter Uniform, in vollem Wichs, stand er da. Fuchs' Haut umspannte ihn so straff, als müßte sie jeden Moment abspringen. Haslanger stellte sich gerne vor, daß Fuchs sich seinen Gesichtsausdruck morgens als Maske aufs Gesicht sprühte und den ganzen Tag zur Schau trug. Normalerweise zeigte seine Uniform um diese Zeit bereits ein paar Knitterfalten, und sein altmodischer Bürstenhaarschnitt mußte vor der hohen Luftfeuchtigkeit Long Islands kapitulieren. Aber heute nicht. Heute statteten hohe Tiere des Pentagons der Gruppe Sechs einen Besuch ab, und deshalb hatte Colonel Lester Fuchs dafür gesorgt, daß er taufrisch wie sonst nur am frühen Morgen aussah.
»Haben Sie gehört, Doktor?«
»Wie? Verzeihung, was ist?«
Inzwischen hatten er und Fuchs den Lift am Ende des Korridors erreicht. Wie er dort hingelangt war, wußte Haslanger schon nicht mehr, weil er sich in einem der Dämmerzustände befand, von denen er annahm, daß sie ihm den Schlaf ersetzten. Die blank polierte Stahltür des Aufzugs zeigte ihm sein Spiegelbild – ein erschreckender Anblick.
Sehe ich wirklich so gräßlich aus?
Ein lebender Leichnam, etwas anderes war er nicht mehr. Sein Gesicht war hager wie ein Totenkopf. Unter der bleichen, runzeligen Haut zeichneten sich Wangenknochen, Kiefer und Kinn schroff ab. Die Augen stierten grau und leblos, das weiße Haar bildete einen wilden Schopf. Dauernd schmerzten seine Gelenke, und er hatte ständig einen steifen Nacken.
»Ich habe Sie nach dem abschließenden Durchlauf gefragt, den Sie gestern für den heutigen Test machen wollten«, sagte Fuchs.
»Ja. Alles bestens.«
»Bestimmt?«
»Völlig.«
Fuchs schlug einen eisigen Ton an. »Ich entsinne mich daran, daß Sie vor der Panne in Reyvastat auch fest davon überzeugt waren.«
»Gar kein Vergleich«, erwiderte Haslanger ohne zu zögern. »Heute findet das Experiment unter vorher festgelegten Bedingungen statt, nicht in Kriegsgebiet.«
»Jedenfalls noch nicht«, entgegnete Fuchs grimmig.
Haslanger überhörte die Bemerkung. Er dachte schon an das ewig gleiche, salbungsvolle Gerede, das Fuchs seinen neugierigen Besuchern aus dem Pentagon auch heute wieder bieten würde: die ganze Geschichte der Gruppe Sechs, angefangen bei ihrer Entstehung. Wie die Organisation hier in der Abgeschiedenheit der entlegensten Kiefernwälder, nämlich im Regierungslaboratorium Brookhaven in Upton auf Long Island, tätig wurde, und schon damals ihre Ziele mit einzigartiger Hingabe und Entschlossenheit verfolgt hatte … Gruppe Sechs war so benannt worden, weil sie vom Pentagon ursprünglich als die sechste Abteilung der Streitkräfte vorgesehen war. Im Pentagon war man, allen voran General Starr, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, zu der Auffassung gelangt, aufgrund der hohen Bedeutung von Technologie und Technik sei es erforderlich, ihre Entwicklung zu zentralisieren. In Laboratorien wie Los Alamos, Lawrence Livermore oder Aragon verliefen häufig parallele Forschungen, so daß für dieselben Forschungsziele zahllose Arbeitsstunden doppelt und dreifach anfielen. All das sollte Gruppe Sechs ändern und im Rahmen dieser Umstellungen zu einer ganz neuen Institution heranwachsen.
Das war der Teil der Geschichte, den Fuchs am liebsten und am längsten breittrat. Haslanger wurde schlecht, wenn er nur daran dachte.
Die fünf Institutionen, die gegenwärtig damit betraut waren, die Interessen der Nation zu wahren, sahen sich dabei mit immer größeren Schwierigkeiten konfrontiert. Heer, Marine und Marinekorps, Luftwaffe und genauso das neu gegründete Spezialoperationen-Kommando, die Special Forces, mußten sich in der Welt nach dem Kalten Krieg behaupten, in der sich die Verhältnisse schneller änderten, als sie die Fähigkeit zur Anpassung entwickeln konnten. Brandherde flammten plötzlicher auf, als man sie löschen konnte, und eine Anzahl neuer Staaten hielten in einer Hand Brandfackeln und in der anderen Hand Atombomben.
Gruppe Sechs hatte anfangs den Auftrag
Weitere Kostenlose Bücher