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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auswies, grüßte militärisch korrekt, als das letzte Boot glücklich gelandet war. Man hatte ihm von drüben über das Walkie-Talkie bereits mitgeteilt, wer da ankam: ein Ingenieur, der anscheinend große Vollmachten von der Zentrale Irkutsk hatte, und eine Ärztin, die unter vier aufgespannten Kunststoffplanen in diesem Urweltregen Kranke und Verletzte behandelt hatte. Bei Jankow waren die Verletzten unversorgt ins Dorf transportiert worden und lagen in einer Scheune. Einen Lagerarzt mitzunehmen, hatte der Major nicht für nötig gehalten.
    »Die Lage ist trostlos«, sagte Jankow, nachdem man sich bekanntgemacht hatte. »Nach Ottokh ist kein Durchkommen mehr. Das ganze Land ist ein einziger Sumpf. Die Lastwagen versinken, wir haben es versucht. Ich habe schon daran gedacht, Schlitten einzusetzen und sie von meinen Männern ziehen zu lassen.«
    »Menschen als Zugtiere … bis Ottokh?« sagte Shukow, als glaube er so etwas nicht.
    »Warum nicht? Es sind wichtige Ersatzteile für Werchokrassnoje dabei. Was kein Auto schafft und bei diesem Wetter selbst kein Hubschrauber … ein Mensch kann es! Zwanzig Mann vor einem Schlitten … die kommen auch durch den Schlamm! Wassja Grigorjewitsch, sehen Sie mich nicht an, als sei ich der Leibhaftige. Wir haben darin doch Tradition. Jahrhundertelang zogen die Flußschlepper ganze Lastkähne die Ströme Sibiriens hinauf. Was wäre aus Rußland geworden ohne die Wolga- und Donschlepper? Wir müssen da mal wieder einen Versuch machen, Genossen. Wir haben Menschen genug.«
    Es hatte keinen Sinn, Major Jankow ins Gesicht zu sagen, daß man ihn umbringen sollte. Mit einem Geländewagen, der sich durch den Schlamm wühlte, bis er den festeren Felsboden der Schlucht von Nowo Sosnowka erreichte, verließen sie das Flußufer und fuhren durch das Dorf. Dort war man dabei, alles möglichst wasserdicht zu machen, schichtete Sandsäcke vor die Türen und trieb das Vieh in höher gelegene Waldstücke, um sie dort an den Bäumen festzubinden. Wenn die Welt wirklich nicht unterging im Wasser, waren sie hier sicher. So hoch konnte kein Fluß steigen.
    Bis zum Lager waren es noch vier Werst. Die Straße war mit Steinplatten befestigt, dazwischen lagen dicke Holzknüppel; ein Untergrund, der leidlich hielt. Als die Baracken auftauchten, die Stacheldrahtzäune mit den Wachtürmen, der hohe innere Palisadenzaun, die Steinhäuser der Wachmannschaften und der Kommandantur, die – wie immer – außerhalb des eigentlichen Lagers gebaut waren, die Garagen und Werkstätten, das Magazin, die Wäscherei und das kleine Krematorium mit dem schlanken Schornstein aus Betonfertigrohren – da fühlte sich Shukow fast wie zu Hause.
    Das alles hatte man für die Ausbildung der amerikanischen Agenten auch in Alaska aufgebaut gehabt, naturgetreu. Es gab ja Fotos genug von den sowjetischen Lagern, und präzise Beschreibungen. In einem solchen Straflager hatten sie damals neun Wochen gelebt, unter den gleichen Bedingungen, wie sie Shukow jetzt hier vorfand. Was andere entsetzen würde, betrachtete er mit Interesse. Major Jankow schien es zu bemerken.
    »Ein schönes Lager«, sagte er stolz. »Ich darf mit Recht feststellen, daß es mustergültig ist.« Er beugte sich zu Shukows Ohr, weil die Wuginskaja das nicht zu hören brauchte. »Nur eines haben wir nicht, was Ottokh hat, und das verschärft die Aggressionen: Wir haben kein Frauenlager in der Nähe! Nicht eine einzige Frau, nur die Weiber im Dorf. Und das bei dreihundert Mannschaften! Ich habe ganz offiziell in Jakutsk einen Puff beantragt. Abgelehnt. Wenn ich meinen Soldaten kommandiere: Das Gewehr über! – dann gehen gleich zwei Knüppel in die Luft.«
    Er lachte, lehnte sich wieder zurück und wandte sich zu der Wuginskaja um, die auf dem Hintersitz hockte. Der Regen hatte nicht vermocht, ihre eigenartige Schönheit wegzuschwemmen.
    »Unser Lagerlazarett ist ebenfalls mustergültig«, rief er gegen das Rauschen des Regens und den Motorenlärm an. »Sie werden es sehen, Genossin. Chefarzt ist Dr. Fedjunin. Es gab eine statistische Umfrage bei allen Lagern, eine Generalübersicht im Gulag. Nowo Sosnowka hatte die wenigsten Kranken. Keine zwei Prozent! Na, ist das etwas?«
    »Und wie hoch ist die Sterbequote?« fragte Shukow leichthin.
    »Normaler Durchschnitt.« Major Jankow winkte großzügig ab. »Man muß die Arbeitsleistung gegen den Verschleiß aufrechnen, Genosse. Da liegen wir in der Spitzengruppe!«
    Ich bringe dich doch noch um, dachte Shukow eiskalt.

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