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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Einsätze in Alaska und Colorado. Er legte den Arm um die frierende Wuginskaja, und sie kroch an ihn heran wie ein elender, nasser Hund. »Ich gestehe: Ich habe heute viel von euch gelernt …«

Das Übersetzen war, nachdem die Stahlseile gespannt waren und die Boote in sie eingehängt wurden, zwar keine Kleinigkeit, sondern ein verflucht hartes Unternehmen, aber es verlief alles glatt – wenn man davon absieht, daß drei Boote kenterten und die Insassen samt Kisten und Kartons hilflos abtrieben, unrettbar, vom Fluß verschlungen. Auch neun Wachsoldaten waren darunter, und so grausam es ist, so zu denken, Shukow dachte an eine gewisse Gerechtigkeit des Schicksals. Auch diese Soldaten haben Mütter und Väter, Freundinnen und Bräute, und man hat ihnen befohlen, nach Sibirien zu fahren und die Sträflinge zu bewachen. Wenn sie auf die ausgemergelten Gestalten einschlugen, so kannten sie es nicht anders, man hat es ihnen eingetrichtert. Das sind Menschen, die man nicht mehr als Menschen zu behandeln braucht. Das ist ein einfacher Lehrsatz, ihn begreift jeder, und wenn man dadurch ein guter Soldat sein kann, befolgt man ihn eben, ohne nachzudenken.
    Bis zum Abend – es regnete ohne Unterbrechung mit der gleichen Intensität, der Himmel war grau und das Weltall anscheinend bis zur Unendlichkeit voll Wasser – war der Zug entleert und alles, was er befördert hatte, auf das andere Ufer geschafft worden. Es blieben nur noch die Privilegierten übrig, ein paar Geologen, Ingenieure, drei Offiziere, ein Raketenfachmann, zwei Atomphysiker, die Wuginskaja, der Zugführer und Shukow.
    »Ich bleibe bei meinem Zug«, sagte der Zugführer und blickte heroisch um sich. »Verläßt ein Kapitän sein Schiff, solange es noch schaukelt? Na also! Mein Zug steht noch da. Ich werde mich in die Lok setzen und warten. Weiter gute Reise, Genossen! Einmal hört alles auf, auch dieser Sauregen.«
    Man beschloß, mit zwei Booten hinüberzusetzen, und die Wuginskaja verlangte, im gleichen Boot mit Shukow zu fahren. Das Boot vor ihnen hatte die Verletzten mitgenommen, auch den Schriftsteller und den Professor für Elektronik. Wie Hölzer hatte man die Verletzten nebeneinander und sogar aufeinander geschichtet. Es machte ihnen nichts aus. Die Hauptsache war, sie überlebten, kamen auf die andere Seite des Flusses, wurden in das Lagerlazarett von Nowo Sosnowka gebracht und hatten dann einige Wochen Ruhe. Auf einem Holzbett liegen, auf einer stinkenden Pritsche, unter einer urindampfenden Decke und nichts tun als dösen … denken … sich erinnern … sich in Hoffnung baden – das ist ein Stück Himmel.
    Das letzte Boot war das mit Shukow, Valja Johannowna, einem ziemlich arroganten Kapitän der Roten Armee, der seinen gelben Kunststoffumhang wie eine Beleidigung ansah, sich aber doch damit vor völliger Durchnässung schützte, und ein Geophysiker, der schreckliche Angst hatte, sich ins Boot plumpsen ließ, auf den Boden legte und anscheinend alles andere in Gottes Hand legte. Afanasj Kornejewitsch Pribylow, der wichtigste Mann am diesseitigen Ufer, verabschiedete sie alle wie engste Verwandte.
    »Es war schön, mit Ihnen zu reden!« rief er. »Gute Fahrt! Gute Fahrt!«
    Dann umarmte er Shukow und die Wuginskaja und gab dem Boot einen Tritt, damit es an der Seilrolle in den Fluß glitt.
    Sie kamen drüben wie nasse Mäuse an. Die Wellen schlugen immerzu ins Boot, es nutzte keine Plane mehr, es war, als führen sie unter einem Wasserfall her. Daß sie überhaupt das andere Ufer erreichten, in einem mit Wasser halbvollem Boot, war eines der Rätsel, über die man noch lange nachdenken kann.
    Auf der Nowo-Sosnowka-Seite empfing sie der Mann, der Shukow am meisten interessierte: Major Wassili Michailowitsch Jankow, der Kommandeur des Straflagers. Seine tausend Sträflinge hatten nicht nur die provisorische Drahtseilfähre so verankert, daß sie eine Ersatzbrücke darstellte – sie hatten auch Dämme aus Felssteinen aufgerichtet und mit Erde abgedichtet. Sie verhinderten so, daß der sich immer mehr ausweitende Fluß in das Felsental eindrang und das Dorf Nowo Sosnowka unter Wasser setzte. Wie ein Heer von tausend Bibern schleppten sie Stämme und Steine heran, ohne alle Hilfsmittel, mit den Händen, auf den Schultern, an Seilen hinter sich herziehend. Es war ein grandioses Bild wie aus der Apokalypse. Arbeitende Leichen.
    Major Jankow, mittelgroß, etwas dicklich um die Hüften, mit jener gegerbten Gesichtshaut, die ihn als einen alten Sibirier

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