Das Doppelspiel
Jakowlowitsch?«
»Ja. Wie lange der Sender in Tätigkeit ist, weiß ich nicht. Ich bin ja erst vor vier Monaten, wie Sie wissen, nach Winniza gekommen. Von meinem Vorgänger lagen keine Berichte vor. Aber seit längerer Zeit beobachte ich das nun. Zuerst glaubte ich an ein atmosphärisches Phänomen … aber jetzt habe ich Beweise. Die Störungen treten täglich meistens gegen sechs Uhr früh oder abends gegen neunzehn Uhr auf und dauern im Durchschnitt fünf Minuten, selten länger. Ich habe eine Statistik über zwei Monate mitgebracht, sie ist faszinierend.« Slobin holte tief Atem. »In Winniza oder der näheren Umgebung muß demnach ein Geheimsender existieren!«
»Sagen Sie das bloß nicht lauter als nötig, Slobin!« rief der Oberst. Er blickte auf das Tonbandgerät, als sei es ein Haufen stinkenden Unrats. »In meinem Militärbereich ein Geheimsender … das wäre eine Katastrophe! Das kann nur ein Irrtum sein! Wer sollte hier senden? Warum? Vielleicht ein Funkamateur, der uns ärgern will, der weiß, daß ein Stanislaw Jakowlowitsch seine Ohren im Äther hat …«
»Es könnte sich um einen Agenten einer fremden Macht handeln«, sagte der politische Offizier.
»In Winniza, Genosse Major?« Der Oberst lächelte mitleidig. »Soll er ausspionieren, wie gut die neue Weinernte wird? Daß dieses Jahr die Pfirsiche saftiger sind als im letzten Jahr? Ha, wird das die amerikanische Wirtschaft durcheinanderbringen! Und die Deutschen werden Selbstmord begehen, weil unsere Tomaten dreimal so dick sind wie ihre! Winniza wird die Welt verändern, darum wimmelt es hier auch von ausländischen Spionen!« Der Oberst tippte sich an die Stirn. »Genossen, ich muß gleich lachen –«
»Und die unbekannte Stadt südlich von Winniza?« Der Major der politischen Führung lehnte sich im Stuhl zurück. »Oder wissen Sie, Genosse Oberst, was da auf den 50.000 Hektar geschieht?«
»Nein. Wissen Sie es?«
»Auch nicht. Keiner weiß es! Es hat sich nur herumgesprochen, daß dort eine dreifache Starkstromsperre ist und irgend etwas Großes geschieht. Aber wo Geheimnisse sind, sind auch die Jäger nach diesen Geheimnissen. Das ist eine alte Regel. Und wenn Stanislaw Jakowlowitsch einen Sender mit Zerhacker ausfindig gemacht hat, dann ist das wirklich alarmierend.«
»Gut! Es ist alarmierend. Und wen wollen Sie alarmieren, Genosse Major? Die Kameraden im verbotenen Land? Da kommen Sie nicht ran. Da gibt es keinerlei Verbindungen zu Winniza. Die leben in einer besonderen Welt.«
»Ich werde es nach Kiew und Odessa zu den Generalkommandos melden. Irgend jemand wird zuständig sein.« Der Major tippte mit dem Zeigefinger auf das Tonband. »Kapitän Slobin, können Sie den Sender anpeilen? Wenn er in Winniza ist, muß man ihn doch einkreisen!«
»Die Sendezeit ist zu kurz. Außerdem fehlen mir dazu Spezialgeräte. Wir sind eine normale Nachrichtentruppe, Genosse Major. Das ist eine Aufgabe für Spezialisten.«
»Sie werden kommen, so schnell wie möglich.« Der Major nahm das Tonband an sich und steckte es in eine Aktentasche. »Nehmen Sie die Geräusche weiter auf, Stanislaw Jakowlowitsch. Mit genauen Uhrzeiten. Es muß ein System zu entdecken sein. Wichtig ist vor allem, daß wir die Genossen im verbotenen Land warnen –«
Schon zwei Tage später trafen von Kiew sechs Techniker ein und bauten geheimnisvolle federnde Antennen und Meßinstrumente in der Nachrichtenkaserne auf. Kapitän Slobin war begeistert. Am dritten Tag rollten mehrere Peilwagen in die Kaserne und fuhren am Abend mitten in die Stadt, parkten auf dem Leninplatz und warteten. Kapitän Slobin saß neben einem Funkspezialisten aus Kiew in einem der Autos und hatte die Kopfhörer übergestreift.
Pünktlich um 19 Uhr stellte Dewjatow seine große Stereoanlage an. Neun Nachbarn mit ihren Frauen waren bei ihm zu Gast und freuten sich.
»Was werden wir hören, Awdej Konstantinowitsch?« fragten sie. »Das letzte Mal, Chopin … wir haben noch lange davon gesprochen. Hervorragend, diese Anlage. Dieser naturgetreue Ton. Als wenn man neben der Geige säße. Was bietest du heute, Genosse?«
»Borodin. Fürst Igor –«
»O Wonne!«
»Aus dem Bolschoi in Moskau.«
»Ein wahres Fest, Awdej Konstantinowitsch.«
Die Nachbarn lehnten sich zurück. Dewjatow legte die Platte auf, und die Ouvertüre zu ›Fürst Igor‹ verklärte die Gesichter. Gleichzeitig funkte er zu Bob Miller.
»Sie peilen mich an. Müssen bis auf weiteres schweigen. Ende.«
»Da ist das Schwein!«
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