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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bemühten, ihr aus dem Weg zu gehen. Als sie die breite Tür passiert hatte, kam der Kellner, der Shukows Tisch betreute, mit einem breiten Lächeln heran.
    »Die Direktion möchte Ihnen das Essen schenken, Genosse«, sagte er fast glücklich. »Eine kleine Anerkennung. Aber bitte, seien Sie verschwiegen. Es braucht sich nicht herumzusprechen.«
    »Welche Zimmernummer hat die Genossin Wuginskaja?« fragte Shukow leichthin.
    »Nummer 440.« Der Kellner goß den Rest Wein in Shukows Glas. Dabei blickte er zum Fenster, gegen das der Regen prasselte. »Ich würde warten, Genosse«, sagte er dabei mit der sterilen Höflichkeit eines guten Obers. »Die Genossin hat sich, bevor sie den Speisesaal betrat, auch nach Ihrer Zimmernummer erkundigt …«
    Die ganze Nacht über donnerte und blitzte es. Der Regen ergoß sich über Jakutsk, als sei der Himmel über Sibirien ein Wasserfall. Immer, wenn nach einem Blitz, der grelles, zuckendes Licht in das Zimmer schleuderte, ein gewaltiger Donner dröhnte, schien es, als schwanke das ganze Hotel und erzittere bis ins Fundament.
    Nach dem neunten solcher Donnerschläge – Shukow lag im Bett und las in einem Fachbuch über Hochfrequenztechnik, was ihn außerordentlich langweilte – flog die Tür auf und die Wuginskaja stürzte ins Zimmer. Sie trug einen seidenen tatarischen Morgenmantel, mit Goldornamenten bestickt, ein wundervolles Stück Handarbeit aus den weiten Steppen Asiens. Mit dem nackten Fuß trat sie die Tür wieder zu und blieb dann neben ihr an der Wand stehen. Shukow drehte das Licht seiner Nachttischlampe so, daß es die Wuginskaja aus der Dunkelheit heraushob.
    »Haben Sie auch das Gefühl, als ob das Hotel bebt?« fragte sie hastig. Sie mußte sehr schnell gelaufen sein, die Treppen hinunter, ohne den Fahrstuhl zu benutzen. »Wenn es nun zusammenfällt –«
    »Dann bekommen Sie als Ärztin eine Menge Arbeit«, sagte Shukow ruhig.
    »Sie besitzen eine ekelhafte Selbstsicherheit!« schrie sie hell zurück. »Haben Sie nie Angst gehabt?«
    Es wiederholt sich wirklich alles, dachte Shukow. Waren das nicht fast die gleichen Worte wie von Dunja Andrejewna? Irgendwie gleichen sich alle Frauen, haben gemeinsame Gedanken, werden von den gleichen Gefühlen beherrscht, reagieren mit der gleichen Spontaneität, treten einem Mann mit den gleichen Empfindungen entgegen.
    »Ich habe einmal in meinem Leben Angst gehabt«, sagte Shukow und klappte sein Buch zu. »Ich war damals vierzehn Jahre, und eine Frau von dreiunddreißig verführte mich in einer Garage. Als sie sich auszog, sich auf den Kofferraumdeckel legte und ich ihre großen, birnenförmigen Brüste sah, mit dunkelroten, breitflächigen Monden, und sie zu mir sagte: ›Nun komm schon, du wirst dich schnell daran gewöhnen.‹ Da bekam ich Angst und bin weggelaufen.«
    »Sie sind ekelhaft!« sagte die Wuginskaja mit merkwürdig dunkler Stimme. Es war ein weicher Ton, völlig unbekannt an ihr, bei der man nur eine schmetternde helle Stimme erwartete. »Sie leben nur für Fressen, Saufen und Weiber …«
    »So ähnlich. Schließlich muß ich Sibirien überleben. Fressen und Saufen gehören zu den Grundlagen des Lebens, und keine Frau zu lieben, macht auf die Dauer krank oder verrückt. Das müssen Sie als Ärztin doch wissen.«
    Sie antwortete nicht, kam ins Zimmer und setzte sich in einen der Sessel, dem Bett gegenüber. Der Regen hatte einen deutlichen Temperatursturz mit sich gebracht. Es war merklich kälter geworden. Wenn an der Lena der Herbst beginnt, ist es, als wenn Gott über dem Land die Tür eines Kühlschrankes öffnet. Erst spürt man einen Hauch von Kälte, und dann beginnt das Frieren, Schicht um Schicht, bis alles erstarrt ist.
    »Sie werden sich erkälten, Valja Johannowna«, sagte Shukow und leuchtete mit der Nachttischlampe die Wuginskaja wieder an. »Ihr tatarischer Seidenmantel hilft da wenig. Kommen Sie ins Bett.«
    »Sind Sie verrückt?« schnaubte sie. »Ich habe Angst vor Gewittern und brauche Gesellschaft, das ist alles. Wenn das Blitzen aufhört, gehe ich wieder.«
    »Das Unwetter kann bis zum Morgen anhalten.«
    »Dann erlauben Sie mir, daß ich bis zum Morgen bei Ihnen sitzen darf.«
    »Und wenn wir die Plätze wechseln? Sie ins Bett, ich in den Sessel? Ich kann mich in einen warmen Mantel wickeln.« Er stieg aus dem Bett, holte aus dem Schrank seinen Mantel und legte ihn um sich. Die Wuginskaja beobachtete ihn wie ein Tier, das aus der Höhle auf seinen Jäger blickt. Shukow zeigte auf sein

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