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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bespannte Knochen. Seit sieben Wochen sind wir unterwegs, vom Sammellager Perm aus. Betet für uns, Freunde …
    Die Wuginskaja saß schon in einem Abteil im ersten Personenwagen, als Shukow, den Koffer über seinen Kopf haltend, durch den Regen rannte und den Waggon enterte. Sie saß am Fenster winkte ihm zu und lachte ihn an, als er, völlig durchnäßt, in das Abteil stolperte. Er warf den Koffer auf die Ablage, zog den triefenden Mantel aus und hängte ihn an den Griff der Notbremse, die über der Tür angebracht war.
    »Wir haben uns fast zwei Tage nicht in die Augen geblickt«, sagte er. »Ein unhaltbarer Zustand, Valja Johannowna. Im Hotel haben Sie sich verleugnen lassen, aber Sie waren auf Ihrem Zimmer. Ich habe viermal an der Tür von 440 gelauscht … Sie hatten das Radio an. Gut, habe ich gedacht. Sie ist böse mit mir. Aber wir sehen uns ja wieder. Spätestens im Zug. Und siehe da … nun sind wir zusammen. Gehört uns das Abteil ganz allein?«
    »Ja. Ich habe es als Arztabteil reservieren lassen. Der Transportleiter meint, wir könnten eine Woche unterwegs sein. Da brauchen wir eine Sanitätsstation.«
    »Im letzten Teil des Zuges zittern Ihre Schäfchen.«
    »Ich habe sie gesehen«, sagte sie verschlossen. »Fast vierhundert Verbrecher. Ein Drittel davon Frauen.«
    Die Tür des Abteils wurde aufgeschoben. Ein Offizier der Begleitsoldaten starrte die Wuginskaja an und bekam runde Augen vor Begeisterung. Er grüßte und bedachte Shukow mit einem scheelen Blick. Ein Oberleutnant war er, mit einem forschen Auftreten, das der schönen Genossin imponieren sollte.
    »Noch ein Platz frei?« fragte er und trat näher.
    »Nein!« antwortete Valja Johannowna mit ihrer Fanfarenstimme. »Hier ist ein Lazarett. Gehen Sie hinaus.«
    Der Oberleutnant starrte sie ungläubig an und zeigte dann auf Shukow.
    »Und das ist wohl Ihr erster Patient, Genossin?«
    »Das geht Sie einen Dreck an!« sagte sie schroff.
    Der Oberleutnant zuckte zusammen, warf Shukow einen wilden, bösen Blick zu und verließ das Abteil. Mit einem Knall zog er die Tür zu. Die Scheibe klirrte.
    »Sie machen sich unbeliebt, Valja«, sagte Shukow trocken. »Ein wahrer Schock ist's, Sie reden zu hören. Wer Sie ansieht, möchte die Natur umarmen, daß sie so etwas wie Sie hervorgebracht hat, und dann machen Sie den Mund auf, von dem man nur träumen kann, und heraus kommen wahre Unflätigkeiten! Wie soll man das verkraften?«
    »Sie fragen zu viel, Wassja Grigorjewitsch«, antwortete sie und blickte aus dem Fenster. »Nehmen Sie hin, was Sie hören und sehen. Mehr verlangt keiner von Ihnen.«
    Haben wir gesagt, der Zug fuhr pünktlich ab? Das war natürlich nur sinnbildlich gemeint. Der Zug stand bereit, in ganzer imponierender Länge – das muß man lobend erwähnen. Über das Abfahren jedoch verhandelte der Zugleiter seit einer Stunde am Telefon der Zugleitstelle mit allen möglichen Beamten, die notwendig waren, damit ein Zug sich in Bewegung setzt. Man kann nicht einfach fröhlich an der Dampfsirene ziehen und dann absausen. Auch wenn das Gleis der Materialbahn gleich hinter Jakutsk sich von den allgemeinen Schienen trennte und einsam in die Taiga führte, wie mit dem Lineal gezogen, ein schmaler Schnitt durch die dichten Wälder, wo sich einem nichts in den Weg stellte, es sei denn, ein lebensmüder, alter Renhirsch hätte sich genau zwischen die Schienen zu einem Schläfchen hingelegt – alles besteht aus Organisation, und was wäre ein Russe ohne sein Reglement? Darin gleicht er brüderlich dem Deutschen. Hilflos ist man, wenn niemand da ist, der irgendeine Weisung erteilt.
    »Der Regen!« klagte der Zugleiter, als er nach drei Stunden bei der Wuginskaja ins Abteil schaute. »Dieser Regen! Eine Sintflut! In Jakutsk sagt man: Fahr ab! Der Knotenpunkt Simjansk ruft an: Dableiben! Der Untergrund der Bahnlinie weicht auf. Und die Kontrollstelle Bjoronowo telefoniert: Sind wir Propheten? Es regnet. – Welch eine dämliche Antwort! Und wem schiebt man nun die Verantwortung zu? Natürlich mir! Wer seid ihr, fragen mich die Staatsbeamten. Gehört ihr zur sowjetischen Eisenbahn? Natürlich nicht … habt eigene Gleise gelegt, habt eigene Züge und Waggons, keiner darf über eure Strecke fahren, und jetzt stehst du hier und willst wissen, ob du abfahren kannst! Frage doch deine Genossen in Ottokh!«
    »Und warum fragen Sie nicht?« sagte Shukow.
    »In Ottokh antwortet niemand.« Der Zugleiter fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er war

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