Das doppelte Rätsel
jeweils eine halbe Sekunde. Theoretisch wäre es möglich.“ „Ein riesenhaftes Anwachsen der Beschleunigung, anschließend Abbremsen und Bahnkorrektur — und das alles in dreißig Sekunden?“ zweifelte Osterriem.
„Was ist denn in der automatischen Meldung enthalten?'' wollte der Arzt wissen.
„Normalerweise nur der Standort!“ antwortete der Kommandant für Pollux, der sichtlich angestrengt nachdachte. „Nur wenn wichtige Funktionssysteme ausfallen, wird das mitgemeldet.“
„Also die Rakete kann auf keinen Fall in dreißig Sekunden beschleunigen, wenden, bremsen, wieder wenden und korrigieren. Das ist Unsinn.“ Der Testpilot schüttelte den Kopf, wie um seine Worte zu bekräftigen.
„Theoretisch ist es möglich!“ beharrte Pollux. „Ich entsinne mich an einen Fall, an ein Meteoritenmanöver, das wir nur durch die PaN-Meldung erfuhren. Der Navigraph hatte es gar nicht verzeichnet. Es hatte aber anderthalb Minuten gedauert.“
Alle sahen überrascht auf. „Wie ist so etwas möglich?“ fragte der Arzt schließlich.
Pollux zuckte bedrückt mit den Schultern.
„Ich kenne den Fall“, erklärte der Kommandant, „die Ursache bestand einfach darin, daß die Ortung zu grob, zu ungenau war. Sie wurde damals verfeinert. Aber trotzdem — das hat mich auf einen Gedanken gebracht. Es gibt so etwas wie einen technischen Aberglauben, dem mit der Zeit mehr oder weniger jeder unterliegt. Ich meine folgendes: Wenn wir einmal eine Aufgabe den Automaten übertragen haben, dann hört sie im Grunde genommen auf, uns zu interessieren, weil wir wissen, daß die Automaten sie schneller, präziser und zuverlässiger erledigen, als wir das tun könnten. Das ist natürlich im allgemeinen richtig, aber es liegt auch eine Tendenz zur geistigen Bequemlichkeit darin, die uns in Ausnahmesituationen — wie jetzt — lahmen kann. Ich schlage vor, daß uns der Navigator noch einmal ausführlich das Zustandekommen, die Übermittlung, die Verarbeitung und die Aufzeichnung der Standortmeldung erläutert, obwohl wir — oder gerade weil wir diesen Prozeß in seinen Grundzügen kennen.“
„Das einzige, was uns weiterbringen kann, ist, daß wir die FR siebzehn noch einmal gründlich untersuchen!“ protestierte Bernaud.
„Das ist vollkommen richtig. Aber wenn man weiß, was man sucht, wird das Finden leichter. Sonst noch Gegenstimmen? Nicht? Dann los!“ Pollux strich sich über die Stirn. „Zunächst mißt das Orientierungssystem die Winkel zwischen verschiedenen Fixsternen und Sonne, Mond und Erde. Ein Rechenwerk errechnet dann aus den Winkeln und aus dem tatsächlichen Stand von Sonne, Mond und Erde zu diesem Zeitpunkt den Standort der Rakete und kodiert ihn …“
„Halt!“ rief der Kommandant. „Einen Augenblick bitte …“ Er dachte nach. „Wie groß ist die Genauigkeit der Standortmessung? Welche Fehlergrenzen hat das Orientierungssystem? Haben Sie die Zahlen im Kopf, Johanson?“
Der Pilot nannte einige Zahlen. Der Kommandant zog den Tischrechner heran und bearbeitete ihn mit flinken Fingern. Dann schob er ihn zurück und atmete tief. „Wenn wir annehmen, daß der Beschleunigungsanstieg höchstens drei Sekunden gedauert hat und daß die Korrektur ausschließlich durch Herabsetzung des Antriebs erfolgt ist, liegt die Standortdifferenz bereits nach vierundzwanzig Sekunden innerhalb der Fehlergrenzen. Doktor, wie hoch würden Sie eine Beschleunigung schätzen, die solche — Wirkungen wie die hier vorliegenden hervorbringt?“
Der Arzt zögerte. „Das hängt auch von der Zeit ab, in der sie erreicht wird … Drei Sekunden … Vielleicht zwölf bis fünfzehn g?“ „Das habe ich auch zugrunde gelegt!“ bestätigte der Kommandant. „Die Plombe sperrt bei zehn g!“ erinnerte der Testpilot.
„Richtig, die Plombe!“ fuhr der Kommandant fort. „Ich fasse zusammen. Wir können also mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit folgenden Vorgang rekonstruieren: Der Pilot bemerkte, daß die Beschleunigung zu wachsen begann und mit den üblichen Mitteln nicht mehr einzuschränken war. Das bedeutete, daß die Kettenreaktion im Reaktor aus der Kontrolle geriet. Als letztes Mittel, einer Explosion vorzubeugen, riß er die Plombe ab. Der wachsende Antrieb konnte die im Übermaß produzierte Hitze des Reaktors aufnehmen. Dadurch wurde das Raumschiff gerettet, aber die Beschleunigung wuchs für kurze Zeit auf ein tödliches Maß.“ „Phantasie!“ entgegnete der Ingenieur scharf. „Ein Reaktor ist eine exakt
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