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Das doppelte Rätsel

Das doppelte Rätsel

Titel: Das doppelte Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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dem Pult zu und ließ sich mit dem Transit-Satelliten verbinden, von dem aus die Frachtraketen zum Mond starten. Aber der dortige Kommandant versicherte ihm nach einem Blick in das Abfertigungsprotokoll, daß alles normal verlaufen sei. Auch von der Brigade, die FR 17 beladen und kontrolliert hatte, erfuhr er nichts Neues. In den viertelstündlichen Raumzustandsberichten, die das Auftreten nichtkatalogisierter Meteoritenschwärme und andere Unregelmäßigkeiten meldeten, hatte er schon vorher erfolglos gesucht. Und außerdem war ja das Raumschiff äußerlich nicht beschädigt.
    „Da stimmt was nicht!“ sagte Pollux, der sich in den zweiten Sessel gesetzt hatte und den Kurs der FR 17 beobachtete. „Sie sind jetzt in die Landezone eins eingetreten, da müßte sich die Bremsung ändern!“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da schrillte auch schon die Klingel des Kurs-Registrier-Automaten und meldete, daß die FR 17 vom programmierten Kurs abgewichen war. Pollux' Finger flogen über die Eingabe-Tastatur des Kursrechners. Sekunden später hielt er das Ergebnis in den Händen: Bremsantrieb und -richtung hatten sich beim Eintritt in die Landezone I nicht geändert, im Gegensatz zum Programm, im Gegensatz zum Landemanöver, das jetzt eine stärkere Bremsung erforderte, wenn die Rakete nicht zerschellen sollte.
    Die Gedanken des Kommandanten überstürzten sich. Der Autopilot blockiert? Die Steuerung defekt? Oder — sind sie wieder zu sich gekommen? Er griff zum Mikrophon, schaltete und rief: „Hier Hafenkommandant! FR siebzehn — melden Sie sich! FR siebzehn — melden Sie sich!“ Er schaltete um, aber der Lautsprecher brummte nur leise. Noch zweimal wiederholte er den Ruf, dann stand er resignierend auf, legte die Hände auf den Rücken und ging im Raum auf und ab. Nur jetzt klar bleiben! Jetzt nachdenken, scharf nachdenken — umfassend wie eine Bibliothek und präzise wie eine Rechenmaschine! Also — was ist geschehen?
    „Hören Sie mir zu, und unterbrechen Sie mich rücksichtslos, wenn ich Unsinn rede!“ befahl er Pollux. „Also: Die automatische Steuerung, die eben noch funktionierte, versagt jetzt. Halt, das ist unscharf, genauer gesagt: Das Raumschiff weicht in dem Augenblick vom programmierten Kurs ab, in dem die Steuerung verändert werden muß. Aber das Ausweichmanöver kurz vorher wurde noch exakt ausgeführt! Moment mal — ja, so ist es ganz genau formuliert: Nach Ende des Ausweichmanövers blieb die Steuerung unverändert. Etwa zehn Minuten lang entsprach das dem Programm, wurde also nicht bemerkt …“
    Der Kommandant verstummte; er hatte das deutliche Gefühl, dem wirklichen Sachverhalt auf der Spur zu sein. Wer Gedankenarbeit gewöhnt ist, kennt dieses Gefühl. Es entsteht, wenn, verwirrende Einzelheiten plötzlich beginnen, sich in einen Zusammenhang einzuordnen, so wie beim Schulversuch die Strohhalmstückchen in das elektrische Feld zwischen, den Kondensatorplatten.
    Also vom Schluß des Ausweichmanövers an reagierte die Steuerung nicht mehr. Aber wenn die Besatzung fähig gewesen wäre einzugreifen, warum hätte sie den Autopiloten abschalten sollen? Und wenn die Besatzung aktionisunfähig war — was hätte den Autopiloten blockieren können?
    „Wir müssen jetzt etwas tun!“ Pollux brach in den Gedankengang des Kommandanten ein, doch er hatte recht, und außerdem war er ja aufgefordert gewesen, seine Meinung zu sagen, wenn auch nicht ganz in diesem Sinne.
    Der Kommandant unterdrückte seinen Ärger und setzte sich wieder. „Richtig!“ sagte er. „Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Ja, jetzt gibt es überhaupt nur noch eine Möglichkeit …“ Und er stellte noch einmal Sichtverbindung mit der Havarierakete her.
    Henri Bernaud im grünen und Tom Harrar im orangefarbenen Raumanzug hingen im Netz vor dem Einstiegluk der FR 17. Ringsumher, in Reichweite ihrer Arme, baumelten Werkzeuge und Geräte. Der Ingenieur nahm einen Stift aus einem Futteral — unter normalen Verhältnissen hätte man ihn für einen Lippenstift halten können — und zeichnete den Umriß eines großen Quadrats mit abgerundeten Ecken auf den Lukendeckel: die radioaktive Spur, der das automatische Laser-Schneidgerät folgen würde. Es sah aus wie ein kleiner Schreitbagger oder wie eine große Spinne, und nachdem Henri Bernaud es auf die Spur gesetzt hatte, erschien unter dem „Kopf“ ein glühender Punkt auf dem Metall, dann ein kleines Dampfwölkchen — das geschmolzene Metall, das durch den Luftdruck von innen

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