Das Dorf der Katzen
gehört wirklich nicht mir. Er kam mit dem Mann und als der ihren Koffer am Pier abgestellt hatte, blieb er sitzen. Wann er dann wieder verschwunden ist, weiß ich nicht.“
Er sah Vera an, die etwas verloren auf Deck stand.
„Ihr Gepäck ist da hinten, wenn sie etwas brauchen.“ Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter Richtung Heck. Vera sah ihren Koffer, der in das Innere einer Taurolle gestellt war. Sie nickte zufrieden und dann lächelte sie. Es war tatsächlich ihr Koffer, und am Tragegriff hatte jemand einen kleinen Zweig mit einer Hibiscusblüte festgemacht.
Vera ging näher.
Sie sah einen Zettel neben der Blüte stecken.
Sie nahm ihn und faltete ihn auseinander.
„Have a nice trip, xenos“, stand darauf.
Sie lächelte gerührt. Stavros!
„Ich wecke dann mal mein Baby hier und dann tuckern wir los. Wird eine ruhige Überfahrt. Phelisonissi ist knapp 100 Seemeilen entfernt, wir könnten gegen sieben Uhr abends da sein.“
Er wollte sich an Vera vorbei in das Steuerhaus verziehen, das wie eine aufgesetzte Telefonzelle auf Deck stand, aber sie hielt ihn am Arm fest.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte sie ihn. „Wenn ich schon mit dieser Nussschale untergehen sollte, will ich wenigstens wissen, wen ich um Hilfe rufen muss!“
Sie grinste. Das Ganze begann, ihr mehr und mehr Spaß zu machen.
Der Seemann grinste zurück.
„Jakovos Kurzmann! Aber nennen sie mich ’Jack’!“
Als er Veras fragenden Blick bemerkte, grinste er noch breiter.
„Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Griechin. Ich bin in Kiel geboren, aufgewachsen und habe dort vierzig Jahre gelebt. Dann sind die mütterlichen Gene dominant geworden. Seitdem lebe und arbeite ich hier. Aber ich arbeite, um zu leben - nicht umgekehrt.“
Er ging in das Steuerhaus und kurz darauf erwachte im Bauch des Kutters hustend und stotternd ein Motor.
Jack fuhr rückwärts aus der Anlegeposition ins Hafenbecken hinaus und steuerte dann die Ausfahrt zwischen Hirsch und Hirschkuh an. Er steckte seinen Kopf aus dem Seitenfenster seines Kabäuschens.
„Hier stand angeblich früher der Koloss von Rhodos mit gespreizten Beinen über der Hafeneinfahrt“, rief er Vera zu.
Die stand seitlich am Bug und ließ sich den zunehmenden Fahrtwind um die Nase wehen. Der Kutter machte ziemlich rasche Fahrt. „Wahrscheinlich ein getarntes Schmugglerschiff“, dachte Vera amüsiert. Aber das glaubte sie selber nicht.
Jack hatte Recht gehabt. Die Fahrt wurde sehr angenehm. Das Meer war nur geringfügig unruhiger geworden, als sie die Nordspitze von Rhodos mit dem Aquariumsbau umkurvten und dann entlang der Westküste fuhren. Sie kamen am Flughafen vorbei, wo die Maschinen in kurzen Intervallen landeten und starteten.
„Ist das erst zwei Tage her, dass ich da drüben angekommen bin?“, fragte sie sich.
Die Zeit war sehr schnell vergangen.
Jack zeigte ihr im Laufe der Fahrt einige markante Punkte und Orte an der Küste. Das alte Kamiros, eine der Keimzellen der rhodischen Kultur und die Johanniterfestung Kastello. An Steuerbord (Jack hatte auf seemännische Ausdrücke bestanden) lag die kleine Insel Almilia.
Jack steuerte dann mehr Richtung Westen, weg von der Küste, hinaus aufs offene Meer. Vera stand wieder am Bug und sah zu, wie dieser das Wasser zerteilte. Ein schöner, beruhigender Anblick, fand sie.
Das Wasser hatte einen tiefen Blauton, wie Tinte. Der Bug durchschnitt dieses Blau und verwandelte es im Sonnenlicht in blaugrüne und weiße Gischt, die beiderseits des Rumpfes vorbeizog und im Heck zu einer weißen Blasen- und Schaumspur verfloss.
Goldene Lichtreflexe gaukelten über das Wasser.
Achtern verschwand Rhodos langsam hinter dem Horizont.
Eine scheinbar unendliche Wasserwüste dehnte sich um den Kutter aus, der unbeirrt seinen Kurs Richtung Unbekannt hielt, gesteuert von Jack, der sich bequem auf seinem Klappstuhl hinter dem Steuerrad flegelte, die Beine aus dem offenen Seitenfenster hängen ließ und mit zwei Fingern der rechten Hand kleine Kurskorrekturen vornahm.
Vera fühlte sich plötzlich einsam und unbehaglich - trotz Jack, der nur ein paar Meter von ihr entfernt hockte. Sie war nun mal eine Landratte und diese konturlose Ebene um sie herum, begrenzt nur vom Horizont, machte ihr ein wenig Angst.
Wie um diese Öde um sie herum nicht mehr sehen zu müssen, blickte sie wieder über die Reling hinunter zum Bug, wo sich wenigstens etwas bewegte, und wenn es nur die Bugwelle war.
Plötzlich war da ein Schatten,
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