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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Fritz
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verrückt! Sie SPÜRTE diese Blicke doch!
    Sie fühlte sich regelrecht ausgezogen, seziert, durchleuchtet, geröntgt!
    „Ioannis, das ist unheimlich! Irgendjemand verfolgt uns mit Blicken, egal wo wir sind!“
    Ioannis blieb stehen. Er blickte sie ernst an und deutete dann stumm über Veras Schulter hinter sie und nach oben.
    Vera drehte sich um und sah hoch.
    Auf dem flachen Hausdach hinter ihr saß eine Katze und blickte aus großen aufmerksamen Augen auf sie herab.
    Vera ließ den Blick weiter wandern. Auch auf dem Hausdach daneben saß statuenhaft eine Katze und fixierte sie.
    Jetzt, wo sie wusste, wohin sie schauen musste, nahm Vera immer mehr Katzen wahr. Sie befanden sich durchwegs auf erhöhten Posten. Auf den flachen Hausdächern, auf Balustraden, Erkern, Balkonen und Mauerkronen. Ein gutes Dutzend mindestens in Veras Blickfeld. Weiß der Himmel, wie viele es insgesamt waren.
    Manche saßen, manche lagen bäuchlings und blickten über ihre Vorderpfoten auf Vera herab. Keine bewegte sich, nur die Ohren zuckten ab und zu. Und alle hatten ihre unergründlichen Augen auf Vera gerichtet.
    Kein Wunder, dass sie sich beobachtet fühlte!
    „Ioannis!“ Sie umklammerte seine Hand.
    „Es wird Zeit für deine Erklärungen! Was ist da vorhin vor dem Dorf passiert und warum? Was machen all diese Katzen hier? Warum werde ich von ihnen angestarrt wie ein Eindringling?“
    „Ich weiß, wer du bist, welcher Gesinnung du bist und wessen Dienerin du bald bist. Aber sie wissen es nicht und solange sie es nicht wissen, werden sie dich als Eindringling betrachten“, sagte er.
    Vera starrte ihn verblüfft an.
    Was waren das denn plötzlich für gestelzte Worte aus seinem Mund? Sie wollte protestierend antworten, aber er erstickte mit einer energischen Handbewegung ihren Protest schon im Ansatz.
    „Das ist ihr gutes Recht“, sagte er. „Es ist ihr Dorf!“
     
    ΦΦ ΦΦ
     
    Tessal und Haschun waren Brüder. Zwillingsbrüder und äußerlich einander so ähnlich, wie es Zwillingsbrüder nur sein können. Charakterlich hätten sie Wesen von zwei verschiedenen Sternen sein können.
    Tessal war schon als kleiner Junge ein Fürchtenichts, dem kein Palmenstamm zu hoch, kein Pferd zu schnell und kein Unbekanntes zu unbekannt gewesen wäre. Er war der Stolz seines Vaters, Oberhaupt eines Beduinenclans, und die ewige Sorge seiner Mutter, die ihn schon früh unter der Erde liegen sah.
    Haschun war das genaue Gegenteil. Er war vorsichtig, abwägend und verfügte über kein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Er überlegte jeden seiner Schritte lieber zweimal. Zumeist wurde ihm das als Zaudern oder sogar Feigheit ausgelegt. In den Augen seines Vaters war er ein Schwächling, eine Schande für die Familie.
    Weder Mut noch Feigheit halfen, als der Stamm eines Abends von einem räuberischen Nomadenstamm angegriffen wurde. Sie hatten keine Chance.
    Alle Erwachsenen wurden trotz heftiger Gegenwehr erbarmungslos niedergemacht, die Pferde und Kamele zusammengetrieben, die Zelte geplündert und dann angezündet und zuletzt die Kinder, es waren außer Tessal und Haschun noch vier andere, paarweise aneinandergebunden auf drei Pferde gesetzt und mitgenommen. Sie waren für den Sklavenmarkt gedacht.
    Den Nomaden war natürlich aufgefallen, dass Tessal und Haschun Zwillingsbrüder waren. Sie waren erfreut über diesen Fang, denn so eine Rarität ließ sich teuer verkaufen.
    Zwei der Kinder hatten letztlich den Weg zum Sklavenmarkt zum großen Ärger der Nomaden nicht überlebt, und so kamen sie nur noch zu viert in der Stadt an, auf der der Markt abgehalten wurde.
    Tessal und Haschun standen, immer noch aneinander gebunden, mit gesenkten Köpfen auf einer umgedrehten Kiste und wurden wie Vieh angepriesen, von potentiellen Käufern begrabscht und begutachtet.
    Vom Mut Tessals war nicht mehr viel übrig geblieben; er war jetzt ganz einfach ein müder, durstiger und völlig verschreckter kleiner Junge.
    Haschun hatte um sich einen Schutzpanzer aufgebaut. Er war in einem stummen, apathischen Trancezustand.
    Die palavernde Menge teilte sich plötzlich und ein hoch gewachsener Mann, der Macht und Autorität ausstrahlte und dem man seinen Reichtum durchaus ansah, kam geradewegs auf den Nomaden zu, der die beiden Jungen verkaufte.
    Er musterte die beiden kurz und redete dann den Verkäufer in herablassender Weise an:
    „Was verlangst du Schakal für die beiden?“
    „Herr, es handelt sich um ein Zwillingspärchen“, erklärte der Händler, der

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