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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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schien. Weißt du noch? Erinnerst du dich noch an den Keller damals? Du hast es ausgeblendet und versucht zu vergessen. Aber jetzt denk daran. Fühle die Angst. Steig hinein ins Herz der Finsternis. Ab der tiefsten Stelle, sagt man, geht es wieder aufwärts …
    Sie spürte die Klinge an ihrem Hals und den heißen Atem des Mannes. Sie hörte Stiefel auf Pflaster, Rufe, Schreie, Schüsse. Sah Schatten, die am Kellerfenster vorüberhuschten, vernahm die ratternden Stöße der Maschinengewehre.
    Seine Hand musste zittern, und das Messer war scharf. Es schnitt in ihre Haut.
    »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte nicht.«
    »Still.« Der Griff in ihren Haaren lockerte sich etwas. »Kein Ton. Verstanden?«
    Sie versuchte zu nicken, aber mehr als eine minimale Bewegung gelang ihr nicht. Der Schmerz an ihrer Kehle ließ nach.
    »Wie alt bist du?«
    »Sieben.«
    »Meine Tochter ist fünf. Du kennst sie. Ihr habt miteinander gespielt, erinnerst du dich? Maria?«
    »Ja«, flüsterte sie.
    »Ich lass dich gehen, wenn sie weg sind.«
    Polternde Schritte. Heisere Rufe. Jemand stieß die Tür auf. Sanela wurde von einem Blitz geblendet, einer donnernden Explosion aus Farben, und dann glitt die Hand aus ihrem Haar, fiel herab auf ihre Schulter, löste sich leicht, fast liebevoll auch aus dieser Position und streifte dabei ihren Arm wie eine letzte, zärtliche Berührung.
    Sie hatte nie wieder mit Maria gespielt. Es gab sie nicht mehr, sie war verschwunden wie so viele, auch wie Sanelas Mutter. Sie ahnte damals, dass der Mann sein Versprechen in der tiefen Überzeugung gegeben hatte, es auch zu halten. Heute wusste sie, dass er es wenig später gebrochen hätte, wenn die Umstände es erfordert hätten.
    Was lehrt uns das?, dachte Sanela. Dass die Frage du oder ich manchmal von einem Dritten beantwortet wird. Dass Panik eine natürliche Reaktion ist, eine Stressreaktion, die all unsere Kräfte für die Flucht mobilisieren soll. Aber ich kann nicht fliehen. Ich liege in einem Grab. Wohin also mit meiner letzten Kraft? Wann wird der Dritte kommen?
    Der nächste Tropfen landete auf ihren Lippen. Sie leckte ihn weg. Langsam merkte sie, dass sie wieder ruhiger atmete. Noch einmal würde sie eine Panikattacke nicht unterdrücken können. Sie würde schreien, sich den Kopf blutig schlagen, irgendwann anfangen, den Schlamm zu fressen, verrückt werden.
    Oder sie könnte sich beschäftigen. Sie könnte anfangen, sich jedes Haar einzeln auszureißen. Oder versuchen, in diesem niedrigen Gefängnis aus Dunkelheit, Gestank und modrigem Morast herauszufinden, was sich wirklich abgespielt hatte. Alles war da. Die Knochen würden es ihr erzählen. Sie musste sie nur finden und zusammentragen.
    Sie drehte sich wieder auf den Bauch und kroch in die rechte Ecke zurück. Dort legte sie den Oberschenkelknochen ab. Ein Baby, ein Erwachsener, zwei Tote. Sie erinnerte sich daran, dass weiteres Gestrüpp in einer anderen Ecke lag. Sie vermutete, dass noch ein Kind hier verscharrt worden war, auch ein Neugeborenes. Es gab Mütter, die begruben ihre Kinder in Balkonkästen oder legten die kleinen Leichen in Tiefkühltruhen ab. Sanela Beara ahnte, dass sie gerade im Begriff war, dem Geheimnis von Wendisch Bruch auf den Grund zu gehen. Vielleicht war es das Letzte, was sie tat. Vielleicht würde sie dabei in den Wahnsinn abgleiten. Aber keiner sollte sagen, sie hätte ihren Job nicht zu Ende gemacht – eines Tages, wenn man sie finden würde, zusammengekrümmt im Morast. Sanela Beara, Streifenpolizistin. Knöllchenverteilerin. Mehr blieb nicht von diesem Leben, das man ihr vor langer Zeit in einem Keller geborgt hatte. Noch nicht einmal eine Leihgabe war es gewesen. Höchstens eine Fristverlängerung.

40
    L utz Gehring erreichte Wendisch Bruch nach knapp fünfundvierzig Minuten. Aus Jüterbog bekam er einen kurzen Anruf, dass keiner Bearas Wagen gesehen hatte. Man wartete auf weitere Anweisungen.
    Er hielt an der einzig nennenswerten Kreuzung des Ortes an. Hier will ich nicht tot überm Zaun hängen, war sein erster Gedanke. Dann überlegte er, in welchem der wenigen noch bewohnten Häuser Beara gewesen sein konnte, bevor sie ihr letztes Telefonat so abrupt beendet hatte. Ihm fiel ein etwas größeres Gebäude mit verwaschenen Buchstaben auf der Front auf. Ein ehemaliges Gasthaus. Zur Linde, entzifferte er. Hohe Bäume spendeten Schatten. Ahorn? Aber warum hieß es dann Zur Linde?
    Hinter dem Haus hing Wäsche auf der Leine, also war es bewohnt. Er fuhr ein paar

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