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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Patchwork …«
    Brock merkte, dass Miezes Gedankengänge ihn mehr verwirrten, als dass sie ihm weiterhalfen. Sie merkte das auch, nickte ihrem Chef kurz zu und schlüpfte hinaus. Brock, in einem kurzen Anfall von Verzweiflung, weil er das Gefühl hatte, die Lösung direkt vor seinen Augen zu haben und sie nicht zu sehen, vertiefte sich noch einmal ins Protokoll. Er sehnte sich nach einem Gegenüber wie Saaler, der ihn mit seinem kühlen Sarkasmus gezwungen hätte, jeden Gedanken zu präzisieren. Geschliffene, ausgereifte Gedanken. Er nahm einen seiner Bleistifte, die Mieze neu gekauft hatte, musste daran denken, dass vor kurzem noch Charlotte Rubin in diesem Büro fast verblutet wäre, und legte ihn wieder ab.
    Lass ihn. Er tut nur seine Pflicht. Das muss er doch tun, oder? Lass ihn weitermachen. – Ich soll einfach dabeistehen und zusehen. – Es lag doch nie in unserer Hand. Sie haben doch immer mit uns gemacht, was sie wollten.
    Brock erinnerte sich an die Szene: Der Vorführbeamte hatte versucht, die beiden Schwestern voneinander zu trennen. Charlies Pflaster hatte sich gelöst, sie blutete, die Luft war wie elektrisch geladen gewesen.
    Und wir sahen nur den Streit, dachte er. Wir sahen den Beamten und dachten natürlich, dass die beiden über ihn geredet haben. In Wirklichkeit meinten sie jemand ganz anderen.
    Lass ihn. Lass ihn weitermachen .
    Von wem, um Himmels willen, hatte Charlie gesprochen? Brock merkte, dass ihm die Fäden aus den Fingern glitten. Er fühlte sich schuldig, weil er keinen Schritt weiterkam. Er versuchte, Jeremy zu erreichen. Das Freizeichen klang monoton in seinen Ohren, wiederholte sich, schließlich sprang die Mailbox an.
    »Saaler, rufen Sie mich zurück. Dringend. Und vor allen Dingen: Verlassen Sie auf der Stelle Wendisch Bruch.«

42
    G ehring trank einen Schluck Holunderblütensirup mit Wasser. Auf dem Küchentisch lag Sanela Bearas T-Shirt. Wal burga Wahl, immer noch auf ihrem Stuhl wie festgeklebt – wahrscheinlich war sie das auch, alles klebte, sogar sein Hemd, seine Hände, seine Schuhsohlen auf dem Boden –, übte sich weiterhin im Leugnen.
    »Ich weiß nicht, wo sie ist.«
    »Die Kollegen aus Jüterbog werden gleich hier sein. Wir werden Ihr ganzes Haus auf den Kopf stellen, wenn es sein muss. Wo ist sie?«
    Den Wagen hatte ihm Walburga bereitwillig gezeigt. Er stand in einem Schuppen, der den Garten nach Westen hin zu der Ruine des Nachbarhauses abgrenzte. Mit dem T-Shirt hatte sich jedes weitere Abstreiten erübrigt. Sanela Bearas Tasche, ein Modell aus Segeltuch mit einem Riemen zum Umhängen, hatte noch auf dem Beifahrersitz gelegen. Ihren Inhalt hatte Gehring auf der Arbeitsfläche neben der Spüle verstreut. Sie hatte noch nicht einmal ihr Handy und ihren Dienstausweis bei sich. Alles sprach für ein plötzliches, keinesfalls geplantes Verschwinden Bearas.
    »Sie ist weggegangen und nicht wiedergekommen.«
    Er hielt Walburga die kleine gelbe Karte mit dem Logo der Berliner Polizei und Sanelas Foto unter die Nase.
    »Ohne ihren Dienstausweis?«
    »Ich nehme doch auch nicht meine Papiere mit, wenn ich in den Garten gehe.«
    »Sie ist aber nicht im Garten!«, brüllte Gehring. Langsam war Schluss mit lustig. Er hatte Lügen und Taktieren bei Verdächtigen immer als persönliche Kränkung aufgefasst. Geradezu als Affront, als ob man ihn unter Wert einschätzte. Er wünschte sich Gegner, die ihm gewachsen waren. Die er mit Klugheit knacken konnte. Wahrscheinlich, um sich selbst hinterher als Sieger zu sehen. Darum ging es doch letzten Endes. Sieger zu sein. Die einen glaubten an das Gute, die anderen an den Sieg. Das Gute würde nie gewinnen. Es war Teil dieser Welt wie das Böse. Er sah durchs Fenster auf das vertrocknete Gras und das Laub vom Vorjahr, das immer noch unter den Bäumen lag. Vielleicht war die Welt wie ein Garten, und jeder gute Gärtner wusste, dass der Kampf gegen das Unkraut nie aufhören würde. Er riss sich los von dem traurigen Anblick ihrer Wäsche auf der Leine und wandte sich wieder Walburga zu.
    »Sie ist seit sechsunddreißig Stunden verschwunden.«
    »Sie wird schon wieder auftauchen.« Sie sah auf ihre Hände, die ein Papiertaschentuch unruhig in kleine Fetzen zupften.
    »So wie Ihr Mann, Erich?«
    Ihr Kopf ruckte hoch. »Was hat der denn damit zu tun?«
    Von Schwab war immer noch keine Nachricht gekommen. Das verhieß nichts Gutes. Wahrscheinlich hatte der Staatsanwalt sie erst zwei Stunden warten lassen, bis er sich vom Golfplatz in sein

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