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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Bruch, wo hinter sauberen Gardinen brave Ehemänner in ihren Betten lagen und schweigsame Ehefrauen ihnen die Kissen aufschüttelten. Wie muss Charlie sich gefühlt haben? Ich weiß es nicht. Mir fehlt das Vorstellungsvermögen. Es ist ein Wunder, dass sie nicht wahnsinnig geworden ist.«
    »Hör auf! Hör auf!«
    »Nein! Denn es hat ja nicht aufgehört. Wer war wohl dieses Mal der Vater? Der Bäcker, der immer sonntagabends kam, bevor er in die Backstube ging? Der Elektriker, der es gerne ein bisschen härter mochte? Der Fleischer, der immer ein Hundehalsband dabeihatte? Die Gäste aus der Linde, die Gefallen daran fanden, wenn sie sich deine Mutter zu zweit vornehmen konnten? Warum ist sie nicht gegangen? Warum hat sie nicht wenigstens die beiden Kinder beschützt, die sie am Leben gelassen hatte?«
    »Hör auf!«, schrie Cara und wand sich in seinem Griff. »Ich will es nicht hören! Ich will nicht!«
    »Du musst aber. Charlie musste auch. Sie hörte viel, und sie durchlitt noch viel mehr. Alles, während du in deinem Bettchen lagst und so getan hast, als wäre die Welt in Ordnung. Und so stand Charlie eines Nachts erneut mit einem Eimer in unserem Garten. Sie sprach kein Wort. Sie stellte ihn ab und ging, und ich tat, was zu tun war.«
    Jeremy blickte in die Grube. Die kleinen, schwarzen Skelette trieben ihm die Tränen in die Augen. Er versuchte, sich zu beherrschen. Nicht hier. Nicht vor Cara, dachte er. Tränen sind kein Trotzdem.
    »Sie waren das?«, fragte er. »Sie haben die Kinder hier … begraben?«
    Marten nickte. Er zog ein Bein zu sich heran und suchte nach einer bequemeren Position.
    »Wir haben uns nicht mehr gesehen«, fuhr er fort. »Charlie machte sich so gut wie unsichtbar. Doch im Jahr drauf geschah es wieder, und wir wussten, es würde nie aufhören. Nicht, solange die Männer auf den Hof kämen, nicht, solange deine Mutter noch leben würde. Denn sie war wieder schwanger. Und sie lag wieder in den Wehen.«
    Cara röchelte. Sie lag in Martens Arm wie in den Fängen eines Raubtieres.
    »In dieser Nacht bin ich selber auf den Hof. Bruno hat mich geweckt. Charlie und ich wollten wenigstens dieses Kind retten. Wir hatten vor, es weit weg von hier auszusetzen. Doch wir kamen zu spät. Sie hatte eine Totgeburt. So kam noch eine kleine Leiche in dieses unbeweinte Grab.«
    Er sah zu Jeremy, der immer noch wie erstarrt dastand.
    »Und dann war Charlie an der Reihe. Deine Mutter erholte sich nicht so schnell, sie hatte viel Blut verloren. Aber dein Vater wollte saufen, also musste der Rubel rollen. Und so sah er sich um, und sein Blick fiel auf die älteste seiner Töchter, vierzehn Jahre alt und unversehens zur Frau gereift. Ihre Jungfräulichkeit wurde auf einer Auktion versteigert, und mein Vater gab das höchste Gebot ab. Mein eigener Vater. Ich habe es erst hinterher erfahren. Ich wollte ihn damals schon töten, aber ich war noch zu jung. Im letzten Moment kommt doch so etwas wie Scheu auf. Man rammt seinem Vater nicht einfach so die Schaufel ins Genick. Ich habe von ihm abgelassen und ihm den Rücken zugekehrt. Das hatte ich dann davon. Er hatte diese Scheu nämlich nicht.«
    Er deutete auf seine Nase und die Narbe in seinem Gesicht.
    »Oh Gott«, schluchzte Cara. »Es tut mir so leid. So leid.«
    »Nein, Cara. Du tust dir selbst leid, dass du das anhören musst. Bereust du jetzt wenigstens?«
    »Ja. Ja!«, schrie sie in Todesangst.
    »Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war klar, dass keiner etwas tun würde, um das zu stoppen. Keiner. Also konnte man nur die aus der Welt schaffen, die für all das Leid verantwortlich waren. Ich weiß noch, wie ich in der Nacht von hinten in die Backstube kam. Er stand am Trog und wollte gerade den Teig herausholen. Er hat wohl nicht geglaubt, dass ein Junge ihm gefährlich werden könnte. Er hat mich ausgelacht. Er sagte, die Weiber vom Hof können nur ficken. Und jeder soll doch das machen, was er am besten kann. Oder?«
    Er sah zu Jeremy. »Oder?«
    Jeremy sagte nichts. Er überlegte, wie er Marten überwältigen könnte, ohne Cara in Gefahr zu bringen. Ihm fiel nichts ein. Das Maß an Grauen war übervoll. Charlies Worte kamen ihm in den Sinn: So tief in Blut gestiegen …
    »Also hab ich ihm seinen Teig ins Maul gestopft. Und dann habe ich ihm mit einem Besenstiel gezeigt, wie sich das anfühlt. Damit er eine ungefähre Ahnung davon bekam, von was er eigentlich redet. Begreifen. Es geht ums Begreifen, kapiert?«
    Cara nickte hastig.
    »Eines Tages

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