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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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nicht, dachte Sanela und rieb sich die Tränen aus den Augen. Wenn das einer auf der Dienststelle mitbekommt, wie ich mit einem Vermissten umgehe … endlich hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
    »Erst jetzt aufgefallen«, keuchte Walburga schließlich und tupfte sich die Augen ab. Immer noch erschütterten kleine Lachanfälle ihren Busen wie mittlere Erdbeben.
    »Ich kann mitkommen«, bot Sanela an. »Vielleicht hilft es ja. Aber wir müssen es melden. Und ich möchte, dass nach allen Männern gesucht wird.«
    Abrupt brach die Heiterkeit ab.
    »Warum denn das? Das will ich nicht. Ich habe Ihnen die ganze Geschichte im Vertrauen erzählt. Ich will nicht, dass sie die Runde macht und alle denken, ich hätte gequatscht.«
    »Worüber denn? Ich habe doch nur gefragt, was aus dem Bäcker, dem Fleischer und seiner Frau, Herrn Schmidt und allen anderen geworden ist.«
    »Genau das meine ich. Wir reden nicht darüber.«
    Walburga stand auf und räumte die Teller ab. Die Speisereste entsorgte sie in einen grauen Emaileimer. Das Geschirr stellte sie in die Spüle.
    »Ich will Ihnen helfen«, sagte Sanela.
    Die verlassene Ehefrau, die sich über die Jahre bestens mit ihrem Schicksal arrangiert hatte, quetschte Spülmittel aus einer Plastikflasche ins Wasser. »Nicht nötig. Ich schaffe das schon alleine. Kümmern Sie sich lieber um Ihren Wagen.«
    »Sie wollen doch auch, dass ich suche.«
    »Ach, da täuschen Sie sich aber gewaltig.« Die Frau schüttelte den Kopf, als hätte Sanela soeben einen etwas seltsamen Witz gemacht.
    Sanela setzte sich hinters Steuer und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Die Lichter am Armaturenbrett gingen an. Das Radio vermeldete eine lang anhaltende Dürre und die üblichen Klagelieder der Landwirte. Oben auf dem Hügel zog der Trecker mit einer Egge Furchen. Die Staubwolke war rot wie das trockene Land. Schwalben schossen über die frisch aufgeworfene Erde. Es war drückend heiß, die Schwüle wurde beinahe unerträglich. Alle warteten auf den Regen. Sanela schaltete das Radio aus.
    Der Drang, den Wagen zu starten und Wendisch Bruch den Rücken zu kehren, war beinahe übermächtig. Sie lehnte den Kopf an die Nackenstütze, schloss die Augen und massierte sich die Schulter. Der Schmerz unter der Narbe pulsierte im Rhythmus ihres Herzschlages. Etwas stimmte nicht. Sie musste nochmal zum Arzt. Das Auto war heiß wie ein Backofen. Sie ließ die Scheibe herunterfahren und beobachtete im Außenspiegel die menschenleere Straße. High Noon in Wendisch Bruch. Fehlten nur noch die fliegenden Büsche oder ein paar alte Zeitungsseiten, dann könnte man hier einen Western drehen. Ein Hund bellte in der Ferne. Noch einer. Ein dritter fiel ein mit einem langgezogenen Heulen.
    Sie griff nach ihrem Handy und wählte Gehrings Nummer. Wieder hatte sie nur die Mailbox am Apparat. Ihr fiel auf, wie unfreundlich seine Stimme klang.
    »Lutz Gehring. Nachrichten nach dem Pfeifton, ich rufe zurück.«
    »Beara«, meldete sie sich. Sie wusste, dass sie ihn mit ihrer Forderung bis zur Weißglut reizen würde, und bemühte sich deshalb um einen neutralen Ton. »Ich möchte Sie bitten, eine Fahndung nach einigen ehemaligen Bewohnern von Wendisch Bruch einzuleiten: Harald Schmidt, nicht der , sondern ein anderer, angeblich mit einer Drückerkolonne unterwegs. Erich Wahl und Gisela und Walter, Nachname unbekannt, er war Fleischer in Wendisch Bruch. Die vier sind seit über fünfzehn Jahren verschwunden. Und …«
    Sie verstellte den Außenspiegel eine Winzigkeit nach rechts. Hatte sich am Aussiedlerhof gerade etwas bewegt, oder spielte ihr die flirrende heiße Luft über dem Asphalt eine Fata Morgana vor?
    »Und vielleicht könnte man überprüfen, was mit all den Leuten passiert ist, die von hier weggezogen sind. Und sie fragen, warum sie das getan haben. Ob sie einen Grund hatten. Ob der etwas mit Charlotte Rubin zu tun hatte.«
    Sie ließ das Handy sinken. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war zu deutlich, um noch länger ignoriert zu werden.
    »Oder dem Aussiedlerhof.«
    Sie legte auf und atmete tief durch. Es war hier. Es wollte gefunden werden.
    Ein Windstoß fuhr durch das geöffnete Fenster und streifte ihren schweißfeuchten Nacken. Sie fröstelte. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob sie es auch finden wollte. Sie griff nach dem Autoschlüssel. Als sie ihn weiter nach rechts drehte, spürte sie den Widerstand. Noch etwas mehr Druck, eine winzige Handbewegung, der Motor würde anspringen, sie könnte

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