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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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all ihrem Lauschen auf die Stille ja doch ein paar der richtigen Töne. »Na gut. Damals jedenfalls muß es sehr offensichtlich gewesen sein. Sie wurde von einer Kinderpsychiaterin behandelt, Dr. Paula Appleby – vielleicht hast du von ihr gehört. Ich glaube, sie ist ziemlich bekannt. Walter hat sich schon immer nur mit dem besten zufrieden gegeben. Dr. Appleby hat sie achtzehn Monate lang betreut, oder zwei Jahre, ich weiß gar nicht mehr. Ich ließ einfach Walter alles machen. Ich fühlte mich schuldig, ja, aber ich wollte da immer noch nicht hineingezogen werden. Ich hatte die Tür hinter Dendale zugemacht und es ausgeschlossen. Betsy hatte ebenfalls eine Tür zugemacht, sich aber anscheinend selbst mit ausgeschlossen, und ich wollte beim Öffnen auf keinen Fall beteiligt sein. Und als Dr. Appleby dann sagte, die Geschichte mit den Haaren und der Magersucht sei ein Versuch, sich von einem dicken, dunkelhaarigen in ein schlankes, blondes Mädchen zu verwandeln, so daß sie wie Mary aussieht und wir sie lieben, wurde mir nur schlecht. Höre ich mich an wie ein Ungeheuer?«
    »Du hörst dich an wie jemand, der genausoviel Hilfe nötig hatte wie Betsy. Es überrascht mich, daß Walter das nicht gemerkt hat.«
    »Walter war zu sehr damit beschäftigt, Betsy bei ihren Schwierigkeiten zu helfen. Dr. Appleby brachte sie dazu, über die Vergangenheit zu reden, und wollte, daß wir die Abschriften lesen. Sie meinte, es sei ein familiäres Problem, und wir müßten alle übereinander Bescheid wissen. Ich habe es rundheraus abgelehnt und hätte mich, glaube ich, auch nicht überreden lassen, aber dann sagte Betsy wohl selbst, sie habe nichts dagegen, daß Walter die Sachen liest, aber ich sollte sie nicht sehen. Ich glaube, als ich das hörte, spürte ich zum erstenmal so etwas wie Zuneigung zu ihr.«
    »Weil sie dir den Schmerz ersparen wollte?«
    »Das war der einzige Grund, den ich dahinter sah. Nach der Therapie, als sie dann wieder normal war, falls man das überhaupt so sagen kann, kamen wir viel besser miteinander aus. Ich glaube, wir haben beide gespürt, daß sie mir zwar nie eine Tochter sein könnte, wir unsere Blutsverwandtschaft aber auch nicht leugnen können.«
    »Aber obwohl sie normal ist«, sagte Inger, »hält sie weiterhin Diät und trägt eine blonde Perücke?«
    »Ihre Haare sind nicht mehr richtig nachgewachsen. Sie brauchte eine Perücke. Sie fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie blond wäre. Ich fragte, warum sollte es? Was ihre Diät betrifft, habe ich mir schon Sorgen gemacht und ihr beim Essen immer ins Gewissen geredet. Dann zeigte sie mir eines Tages eine sorgsam aufgelistete Kalorientabelle mit allem, was sie so aß, und sagte: ›Ich werde mich auf keinen Fall mit Keksen und solchem Schwachsinn vollstopfen. Das hier esse ich, und es reicht vollkommen, und ich geh auch nicht aufs Klo und steck mir den Finger in den Hals und kotze alles wieder aus. Also mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut.‹ Das war’s. Zu der Zeit hat sie auch mit dem Singen angefangen. Sie hatte schon immer eine gute Stimme, das weißt du ja. Und nun wollte sie herausfinden, ob sie gut genug ist, daß sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen kann. Um diese Zeit herum haben wir sie auch offiziell adoptiert. Wir haben sie von Anfang an Elizabeth genannt, und in der Schule schien es einfacher zu sagen, sie hieße Wulfstan.«
    »Und sie hatte nichts dagegen?«
    »Wer weiß schon, was in ihrem Kopf so vorgeht? Aber sie hat nichts gesagt. Und als Walter vorschlug, daß wir es offiziell machen, schien sie sogar erfreut.«
    »Und du?«
    »Mir hat es nichts ausgemacht. Irgendwie war sie dadurch weniger eine Erinnerung an die Vergangenheit. Ich glaube, deshalb hat mir das mit der blonden Perücke und ihrer schlanken Figur auch gefallen. Alles, was von der Betsy Allgood aus Dendale blieb, war der Akzent.«
    »Hat der dich gestört?«
    »Nein, aber ich dachte, sie könnte deswegen in der Schule Probleme kriegen. Und später, wenn sie mal älter ist. Ich habe ihr einmal vorgeschlagen, Sprechunterricht zu nehmen. Sie sagte: ›Warum? Mit meiner Sprache ist doch alles in Ordnung, oder?‹ Und da merkte ich, daß sie in perfektem BBC -Englisch sprach. Dann fuhr sie fort: ›Aber ich schäme mich nicht, so daherzureden wie Mam und Dad, und wem das nicht paßt, der soll sich verpissen!‹ Das war das letzte Mal, das ich das Thema angeschnitten habe.«
    »Also wurdet ihr Freunde.«
    »So würde ich es nicht

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