Das Dorf der verschwundenen Kinder
Wieldscher Prägnanz und Klarheit vorbereitet hatte.
Er lobte sie nicht dafür. Tatsächlich schien er kaum richtig zuzuhören und interessierte sich anscheinend mehr für den rauschenden Polizeifunk aus ihrem Funkgerät.
Sie griff hinunter, um es abzuschalten, doch er faßte ihre Hand und sagte: »Nein, lassen Sie.«
Es war ihr erster körperlicher Kontakt, und unter anderen Umständen, mit einem anderen Polizisten, hätte sie vielleicht angenommen, daß es die Einleitung einer Anmache war und sich auf eine Abwehrreaktion eingestellt.
Er hielt ihre Hand eine Sekunde lang fest, dann mußte sie schalten, und er ließ los.
»Also«, sagte er. »Benny ist von einer zuverlässigen Augenzeugin in der Leihbibliothek von Dendale gesehen worden. Agnes hat das Geld von der Bank genommen. Und Geordie Turnbull wurde zusammengeschlagen.«
Novello, die letzteres nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt hatte, entgegnete: »Ja, aber das wird wahrscheinlich irgend so ein Spinner aus dem Ort gewesen sein, wie dieser Jed Hardcastle oder …«
»Geordie Turnbull lebt seit Jahren in Bixford und hat nie ein Geheimnis daraus gemacht – es sei denn, man hält seinen Namen in großen roten Buchstaben auf einer Bulldozer-Flotte für geheimnisvoll. Warum sollte dieser Jemand so lange warten?«
»Na, weil die kleine Dacre jetzt vermißt wird«, stellte Novello objektiv fest und fragte sich im selben Moment, ob das eine gute Idee war. »Das hat alles wieder in Gang gebracht.«
Zu ihrer Überraschung lachte er. Oder gab ein Geräusch von sich, das große Ähnlichkeit mit Lachen hatte.
»Shirley, Sie sollten sich mal aus dem Kopf schlagen, daß das, was diesen Familien damals passiert ist, etwas ist, das wieder in Gang gebracht werden muß. Es ist ein dauerhafter Zustand, egal wie lange sie damit leben. Das ist, als ob man einen Arm verliert. Man lernt vielleicht, ohne ihn auszukommen, aber man wird nie lernen, so zu leben, als hätte man ihn noch.«
Er sprach mit einem Nachdruck, der sie irritierte, und als er merkte, wie er auf sie wirkte, holte er tief Luft und versuchte zu entspannen.
»Tut mir leid«, sagte er. »Es ist nur so, daß man in so einem Fall den Schmerz der anderen nur in dem Maße teilt, wie er dem eigenen entspricht oder ähnelt. Als ich hörte, daß Rosie krank ist, habe ich zwar nicht ganz und gar vergessen, daß die Tochter der Dacres vermißt wird, vielleicht entführt, wahrscheinlich ermordet wurde, aber ich habe es erst einmal verdrängt. Verständliche erste Reaktion, denken Sie? Vielleicht. Und die richtige Perspektive wird sich wieder einstellen. Aber nicht wie vorher. Ich weiß jetzt, wenn ich auch nur eine Armeslänge von Bennys Kragen entfernt bin, oder dem eines anderen Serienmörders, und jemand würde sagen: ›Rosie braucht dich‹, daß ich ihn sausen lassen würde.«
Er merkte, daß diese entspannte Vertraulichkeit sie ebenso irritierte wie seine vorherige Heftigkeit. Er erinnerte sich an einen Moment ganz am Anfang seiner Zusammenarbeit mit Dalziel, als der Dicke unter Alkoholeinfluß über seine zerbrochene Ehe hatte reden wollen, doch Pascoe war der Vertraulichkeit entflohen, weil er nichts hatte wissen wollen, von dem sein Vorgesetzter später vielleicht bereute, es erzählt zu haben.
»Mit anderen Worten, ich glaube, wir müssen woanders nach Turnbulls Angreifer suchen als in den Familien aus Dendale. Und Sie sagen, er wollte es nicht anzeigen? Das ist interessant.«
»Ja, Sir«, sagte sie in dem Bewußtsein, daß die Fahrt zwischen Krankenhaus und Pascoes Heim bald beendet war. »Aber diese Spur interessiert mich im Moment eher weniger.«
Aber Sie haben nicht vergessen, wer diese Spur als erste aufgenommen hat, dachte Pascoe, der eine gewisse Verstimmung heraushörte.
Freundlich sagte er: »Ich weiß, daß es manchmal ziemlich gemein ist, wenn man herumgeschoben wird. Aber Sie müssen die gesamte Untersuchung im Auge behalten. Das tun nämlich die Leute, von denen Sie denken, daß sie Sie herumschieben. Lassen Sie sich nicht ärgern, sondern befördern. Mr. Dalziel war von Anfang an der Meinung, daß Lorraine Dacres Verschwinden etwas mit der Sache in Dendale vor fünfzehn Jahren zu tun hat. Ich dachte das nicht, aber je mehr ich sehe, wie die Dinge sich entwickeln, um so mehr denke ich, daß er vermutlich recht hat. Also, schaffen Sie keine Verbindungen, aber übersehen Sie sie auch nicht.«
»Nein, Sir«, sagte Novello. »Sie springen einen aber geradezu an, nicht wahr? Ich
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