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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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lagen.
    Hier war Heck, ein kompaktes und eher finsteres Haus, selbst im hellen Sonnenschein, der alle Bilder durchflutete. Es war niemand zu sehen, aber die Seile einer Kinderschaukel an einer Eiche im Garten wirkten leicht beschwingt, so als sei gerade jemand abgestiegen und still verschwunden.
    Hier war Hobholme, einer dieser alten Bauernhöfe, die allmählich gewachsen waren, mit einer ans Haus angebauten Scheune, einem an den Schuppen angebauten Kuhstall, einem an den Kuhstall angebauten Schafpferch und so weiter, wie es den Bedürfnissen entsprochen hatte. Eine Frau ging zielstrebig an den Gebäuden entlang, in jeder Hand einen Eimer. In ihrem zarten Profil erkannte Pascoe ohne Schwierigkeiten Molly Hardcastle. Mit dem stoischen Pflichtbewußtsein einer Bauersfrau verrichtete sie ihre Arbeit und wirkte dabei nicht unbedingt glücklich. Verglich sie wohl im Geiste die strengen Erwartungen ihres Mannes mit den sanften Annäherungen von Constable Clark? Waren das nur die eitlen Träume einer abgearbeiteten Ehefrau? Reichte ihre Liebe zu den drei Kindern und vielleicht auch die Erinnerung an einen ehemals zärtlichen Hardcastle aus, um sie auf Hobholme festzuhalten? Oder zog sie ernsthaft in Erwägung, die Wut ihres Ehemannes und das Geschwätz der Nachbarn heraufzubeschwören und ihrem Glück hinterherzurennen? Eitle Träume oder konkrete Pläne – wie mußte sie sich gestraft gefühlt haben, nachdem die kleine Jenny sich allein vom Badeteich entfernt hatte …
    Einige Seiten weiter war der Stang-Hof, dessen Tischlerei größer war als das weiß verputzte Haus. Rauch quoll aus dem Schornstein und erinnerte den Betrachter, daß das Feuer ein notwendiger Arbeitskollege war, auch wenn die Sonne heiß genug brannte, um die Äpfel im Baum zu braten. Vor der Tischlerei standen zwei Männer mit nacktem Oberkörper, denen der Schweiß über Brustkorb und Arme rann; der eine hielt eine Säge, der andere ein Brett, beide lächelten in die Kamera und waren sichtlich froh über diesen Anlaß zur wohlverdienten Verschnaufpause. Sie sahen einander sehr ähnlich. Der eine war zweifellos Joe Telford, der andere sein Bruder George, aber ein fremdes Auge konnte sie nicht unterscheiden. Ohne Zweifel war das heute jedem möglich.
    Die Kirche, St. Luke’s, war auch abgebildet, bei einer Hochzeit mit glücklich lächelndem Brautpaar und Gästen; das »Holly Bush Inn« mit Gästen vor dem Lokal, die mit provenzalisch anmutender Gelassenheit ihr Feierabendbier genossen; Low Beulah, das Haus der Allgoods, aus dem gerade ein schlanker, dunkelhaariger Mann trat, der sein wettergegerbtes Gesicht in Heathcliff-Manier stirnrunzelnd in die Kamera hielt, als wolle er dem Fotografen gleich die Meinung sagen.
    Und hier war die Dorfschule.
    Pascoe spürte, wie sich sein Herz zusammenzog und wie Shirley neben ihm sich versteifte. Alle Kinder aus dem Tal waren versammelt, etwa zwei Dutzend, aufgestellt in drei Reihen, die erste sitzend, die zweite auf Knien und die dritte stehend, eingerahmt von den beiden Lehrerinnen Mrs. Winter und Miss Lavery. Sein Blick glitt über die Reihen. In der Akte waren Fotos der vermißten Mädchen gewesen, und er entdeckte ihre kleinen blonden Köpfe und lächelnden Gesichter, eins nach dem anderen. Auch die dunkle und ernste Betsy Allgood war leicht auszumachen. Und noch ein Gesicht zwischen den älteren Mädchen in der hinteren Reihe kam ihm bekannt vor … jetzt fiel es ihm ein … Das mußte Elsie Coe sein, mit zehn oder elf Jahren, unverkennbar für jeden, der das polizeiliche Suchbild ihrer Tochter Lorraine Dacre gesehen hatte.
    Das Schulfoto trug die Unterschrift »Lächeln für eine schöne Zukunft, aber nicht in Dendale!«
    Nein. Nicht in Dendale.
    Es gab weitere Landschaftsbilder – vom Mere, in dem ein Schwimmer zu sehen war; von Beulah Height mit dem alten Schafpferch aus Steinen der noch älteren Bergfestung; vom White Mare’s Tail in voller Pracht, was bedeutete, daß das Foto wahrscheinlich früher als die anderen aufgenommen worden war, vor der Dürrezeit. Dann kam er zum zweiten Abschnitt, »Das Ende«, mit dem Epigraph:
    Oh, unerwartet’ Pein, qualvoller als der Tod!
Muß ich dich denn verlassen, Paradies?
    Nun folgten Aufnahmen vom Dammbau und den Räumungsarbeiten im Dorf. Man sah Menschen, die ihre Besitztümer in Lastwagen luden oder auf Anhänger, gezogen von Traktoren. Hier wurden Schafe von diesem Heathcliff-Typen den Berg hinunter getrieben, vermutlich Mr. Allgood; dort war der

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