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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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stieg höher. Er ertrank und verweste, bis sich seine Arme schließlich vom Körper lösten und einen Meter oder so in den See hineintrieben.«
    »Na toll. Dann habt ihr jetzt den Rest des Skeletts nach oben befördert?«
    »Immer langsam«, meinte Perriman. »Da unten ist immer noch alles voll Wasser und Schlamm. Außerdem würde ich nicht gern jemanden in eine Brühe runterschicken, in der eine Leiche verwest ist.«
    »Ich dachte, das sei dieselbe Brühe, die wir trinken und zum Kochen verwenden?«
    »Ja, bloß nicht in dieser Konzentration. Aber ich sehe schon, daß du viel zu ungeduldig bist, um auf die Pumpe zu warten. Willst du was Bestimmtes haben? Einen Kieferknochen? Na gut, ich springe schnell runter, aber das kostet dich einige große Whiskys zum Desinfizieren.«
    Pascoe stand dabei und beobachtete das Ganze. Sie hatten gerade so viel vom Fußboden entfernt, daß ein Taucher hinuntersteigen konnte. Das Wasser war dunkel und trübe. Nicht einmal die warme Abendluft ließ das Abtauchen in die Tiefe verlockend erscheinen. Perriman mußte sich nach Gefühl vorarbeiten. Er verschwand außer Sichtweite und tastete den Boden ab, bis seine Finger etwas spürten. Er brachte einen Oberschenkelknochen nach oben, dann ein Schulterblatt, dann einen Schädel.
    Pascoe nahm ihn entgegen und wusch ihn an einer sauberen Stelle des Stausees ab. Als er eine Metallplatte blitzen sah, sagte er: »Das reicht fürs erste. Du kannst jetzt aufhören, bevor du dir was einfängst.«
    »Oh, danke für deine Besorgnis«, sagte Perriman. »Aber allmählich gefällt es mir da unten. Außerdem war da noch etwas …«
    Er verschwand ein weiteres Mal. Nach dreißig Sekunden tauchte er mit hoch erhobenen Händen wieder auf, nicht als Geste des Triumphs, sondern um seine Beute zu zeigen.
    Diesmal war es kein Knochen, sondern eine lange, rostige Kette.
    Pascoe nahm sie ihm ab und legte sie auf den vertrockneten Boden. Das eine Ende bildete mit Hilfe eines Vorhängeschlosses eine Schlinge, am anderen Ende waren mehrere Krampen durch einzelne Kettenglieder geschlagen worden.
    »Du meine Güte«, sagte Perriman, der wieder auf dem Trockenen stand. »Sieht so aus, als ob der arme Kerl da unten festgekettet war. Ich glaube, es liegt noch mehr von dem Zeug rum.«
    »Laß es liegen, bis ihr den Keller freigepumpt habt«, sagte Pascoe.
    »Das hatte ich auch vor. Du siehst nicht besonders überrascht aus, Pete.«
    Pascoe betrachtete die Kette und blickte dann über das friedliche Wasser des Mere, über die Berghänge, den langgezogenen Grat des Neb bis zur Beulah Height, deren beide Gipfel sich mysteriös gegen das dunkler werdende Blau des Abendhimmels abhoben.
    Ihm schien, als könnte man dieses perfekte Bild mit ausgestrecktem Arm berühren und wie elektrischen Strom in jede Zelle seines Körpers aufnehmen. Es schien so nahe, daß es eine bewußte und böswillige Ablehnung zu sein schien, nicht daran teilzuhaben.
    Dann dachte er an seine Verzweiflung in den letzten achtundvierzig Stunden, dachte an die Verzweiflung der Purlingstones für die nächsten Gott weiß wie viele Jahre, und als er schließlich seinen Blick wieder auf die Kette und die Knochen zurückschweifen ließ, dachte er an die Verzweiflung dieses Mannes, den das Wasser erst dem Licht und der Freiheit entgegengetragen und dann ertränkt hatte.
    »Nein«, sagte er. »Ich bin nicht sehr überrascht.«
    Er rief auf dem Revier in Danby an und hinterließ bei Clark seine Nachricht für Dalziel. Dann spazierte er am Seeufer entlang und wählte die Nummer des Krankenhauses, damit sie ihm Ellie ans Telefon holten.
    »Alles in Ordnung?« fragte er.
    »Ja. Mit jeder Minute sieht es besser aus. Und bei dir?«
    »Wir machen Fortschritte. Ich bin aber nicht sicher, wann wir fertig sein werden.«
    »Ist schon gut. Ich habe hier genug zu tun.«
    »Ach ja? Hast du einen gutaussehenden Arzt gefunden, oder was?«
    Sie lachte. Es war schön zu hören.
    »Nein, soviel Glück hatte ich nicht. Aber ich habe meinen Stift dabei und spiele gerade mit ein paar Ideen.«
    »Oh.« Er dachte: Sie wird doch nicht das verarbeiten wollen, was wir gerade durchgemacht haben … noch nicht jetzt … Aber wie sollte er das sagen?
    Doch das brauchte er nicht. Sie lachte wieder und sagte: »Ist schon gut, Peter. Es wird lange dauern, bis ich mich in der Lage fühle, anderen Leuten unsere letzten Erfahrungen vor die Nase zu halten. Aber ich lasse auch das alte Zeug hinter mir. Wenn niemand den Flötenspieler bezahlt, muß

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