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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ich es jemandem erzählt habe, auch wenn es nicht Dr. Appleby ist. Ich will es aber sonst niemandem sagen, nicht jetzt und auch nicht später. Ich will einfach nur ganz friedlich mit Tante Chloe in London wohnen und zur Schule gehen und lernen und eine gute Tochter sein, wie eine Tochter eben sein soll.
    Als Dalziel zu Ende gelesen hatte, wandte er sich ab und blickte auf die Überreste von Heck am Rande des hellen und friedlichen Sees. Er war nicht gerade ein Tagträumer, aber wenn er wollte, konnte er wie ein Filmregisseur seine Phantasie anknipsen. Jetzt ließ er vor seinem geistigen Auge die Abendsonne verschwinden und Regen niederprasseln und Nebel hereinwirbeln. Er stellte sich einen Mann vor, der unter der Erde an eine Mauer gekettet war und dem das langsam ansteigende Wasser bereits bis zu den Oberschenkeln reichte. Und dann stellte er sich vor, er selbst wäre dieser Mann und würde jemanden etwas rufen hören, das klang wie sein eigener Name, so daß er die Hoffnung schneller aufsteigen spürte als das Wasser, nun da Rettung nahte …
    Er drückte Wield die Seiten in die Hand und sagte zu Pascoe: »Also gut, Sie Schlaumeier. Alles lief schön und gut, bis Sie wieder ins Spiel kamen. Würden Sie wohl so freundlich sein, mir zu sagen, was Ihrer Meinung nach hier passiert ist?«
    »Schön und gut« schien Novello keinesfalls der richtige Ausdruck für alle Aspekte dieses Falls, die sie bearbeitet hatte. Sie sah gierig auf die Bogen blaues Papier in Wields Hand, weil sie wissen wollte, was Dalziel zu dieser unbeholfenen Äußerung veranlaßt hatte.
    Pascoe sagte: »Für die endgültige Identifizierung werden wir noch die zahntechnische Untersuchung brauchen, aber mir persönlich reicht die Metallplatte im Schädel eigentlich aus. Das war Lightfoot da unten. Jemand hat ihn angekettet. Hauptkandidat dafür ist Wulfstan. Das würde erklären, warum er in letzter Zeit regelmäßig den Neb raufgeklettert ist, als die Hitze das Dorf wieder zum Vorschein brachte. Das war nicht Nostalgie oder Kummer. Das waren Schuldgefühl und Sorge, daß er nach all der Zeit entlarvt werden könnte.«
    »Es würde auch erklären, warum er sich zu der BENNY IST WIEDER DA !-Schmiererei nicht geäußert hat«, meinte Wield. »Er wußte, daß er nicht zurückkommen konnte.«
    »Warum hat das Mädchen nix gesagt?« wollte Dalziel wissen.
    »Ein verängstigtes Kind, das die Fragen der Polizei so beantwortet, wie sie glaubt, das sie es hören wollen?« mutmaßte Pascoe. »Das passiert. Zumindest früher einmal.«
    Dalziel machte ein skeptisches Gesicht, ließ die Erklärung aber durchgehen.
    »Und Wulfstan, wenn er es war – was hatte der vorgehabt? Ein Geständnis aus Lightfoot herauspressen?«
    »Das wäre eine Möglichkeit, Sir.«
    »Eine? Und die andere?«
    »Na ja, es könnte auch sein, daß er sichergehen wollte, daß der Hauptverdächtige im Fall der vermißten Kinder ebenfalls verschwindet.«
    »Wie? Ach, kommen Sie. Sind Sie jetzt übergeschnappt, oder was? Geben Sie mir
einen
Hinweis, daß Wulfstan selbst an einem der Fälle beteiligt sein könnte, oder gar an allen dreien.«
    »Das kann ich nicht, Sir. Ich war nicht dabei.«
    »Dann haben Sie gar nichts.«
    »Na ja«, meinte Pascoe. »Ich habe eine Zeugin, die gesehen hat, wie Wulfstan am Sonntag morgen Lorraine Dacre angriff.«
    Oho, dachte Novello. Dalziel, ausgerechnet Dalziel, war sprachlos. Und verärgert.
    »Jetzt hören Sie mal«, brachte er schließlich hervor. »Ich laß mir ja einiges gefallen, aber wenn das wieder eins Ihrer cleveren Spielchen ist …«
    »Kein Spiel, Sir«, entgegnete Pascoe. »Obwohl ich bezweifle, daß es vor Gericht Beweiskraft hätte. Tatsächlich bin ich absolut sicher, daß ich diese Zeugin nicht einmal in die Nähe eines Gerichtssaals lassen würde. Es ist nämlich Rosie.«
    Wieder war der Dicke sprachlos. Das zweite Mal in zwanzig Sekunden. Dazu der Wortpatzer von vorhin. Novellos Respekt für Pascoe wuchs beträchtlich.
    Und sie selbst fühlte sich durch sein Beispiel zu eigenen Theorien beflügelt.
    »Der Ohrring«, sagte sie und wußte sofort, daß sie recht hatte.
    Pascoe lächelte sie an und sagte: »Eigentlich war es ein Kruzifix-Ersatz. Sie hat am frühen Sonntag morgen am Aussichtspunkt der Moorstraße gefrühstückt. Dabei hat sie durch Derek Purlingstones Fernglas gesehen. Und beobachtet, wie ihre imaginäre Freundin Nina vom Nix geholt wurde.«
    »Vom Nix?« wiederholte Dalziel, der immer noch nicht ganz sicher war, ob Pascoe

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