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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Aktivität. Detective Sergeant Wield, vor den Kollegen dienstlich korrekt, erhob sich und sagte: »Guten Morgen, Sir.«
    »Morgen«, erwiderte Pascoe und dachte, daß wahrscheinlich sogar die Maschinen einer Fabrik glatter liefen, wenn Wield sich blicken ließ. Nicht, daß sein Gesicht etwas Glattes hatte. Aber möglicherweise rührte sein Organisationstalent gerade daher, daß er aussah wie ein Urviech kurz nach dem Urknall.
    »Schön, solch einen geschäftigen Bienenstock zu sehen«, fuhr er fort. »Haben wir alles, was wir brauchen?«
    »Außer einem Kühlschrank, aber der wird bald geliefert«, antwortete Wield.
    »Ein Kühlschrank? Erwarten Sie Gewebeproben?«
    »Für kalte Getränke«, erklärte der Sergeant. »Aber ich kann Ihnen Kaffee anbieten. Und da ist eine Nachricht für Sie von Nobby Clark. Ich habe ihn getroffen, als ich kam. Er bestand ausdrücklich darauf, daß ich sie Ihnen persönlich aushändige. Ich glaube, Sie haben einen Fan gewonnen.«
    Er sagte es mit unbewegtem Gesicht, wobei Wields Gesicht auch unbewegt recht bewegt aussah, was seiner Unergründbarkeit jedoch keinen Abbruch tat. Allerdings kam diese Bemerkung einer homosexuellen Schäkerei näher als alles andere, was Pascoe je von ihm gehört hatte.
    Pascoe öffnete den Umschlag. Darin befand sich ein Stück Papier mit der Aufschrift JED HARDCASTLE .
    »Das ist alles?« fragte Pascoe. »Sonst keine Nachricht?«
    »Er hat was von Farbe gesagt«, kommentierte Wield und reichte Pascoe einen Becher Kaffee. »Ich hatte das Gefühl, er wollte Ihnen was geben, das Sie aus dem Hut zaubern können.«
    »Gott schütze mich vor der Dankbarkeit der Einfältigen«, meinte Pascoe. »Was soll ich jetzt tun? Andy erzählen, ich hätte den Graffiti-Künstler als Jed Hardcastle identifiziert, nur daß ich weder weiß, wer er ist, noch wo er lebt oder sonst irgendwas?«
    »Sohn von Cedric und Molly Hardcastle«, informierte ihn Wield. »Bruder von Jenny, dem ersten verschwundenen Mädchen in Dendale. Derzeitige Adresse: Stirps End, Danby.«
    »Ach,
der
Jed Hardcastle«, sagte Pascoe und stöhnte verärgert, daß er trotz seines Studiums der Dendale-Akte nicht darauf gekommen war. Himmel, sein Kopf sträubte sich wirklich, sich mit Fakten auseinanderzusetzen!
    Er nippte an seinem Kaffee und sagte: »Also noch eine Verbindung mit dem letzten Mal.«
    »Dem letzten Mal?«
    »Dendale.«
    »Oh. Ist das jetzt offiziell? Daß Dendale das letzte Mal war?«
    »Der Dicke scheint es zu denken. Er hat mich die Akte lesen lassen. Und mich gestern abend sogar den ganzen Leichenpfad raufgescheucht.«
    »Hat er das? Tja, das klingt ziemlich offiziell.«
    »Sie scheinen nicht gerade erfreut darüber.«
    »Ich glaube, es ist noch etwas früh, um von
diesem Mal
und
letztem Mal
zu reden, das ist alles.«
    »Was ist mit diesem Burschen Lightfoot?« bohrte Pascoe. »Sie müssen ihn doch kennen. Was dachten Sie so? Manche Leute hielten ihn wohl für den Dorftrottel, aber ich hab gehört, daß er eigentlich ganz helle war.«
    »Oh, der war helle genug. Aber er hatte was Komisches an sich. Als käme er aus einer anderen Welt.«
    Eine so unpräzise Angabe war untypisch für den Sergeant.
    »Was meinen Sie mit ›andere Welt‹? Himmel? Hölle? Jupiter? Wales?«
    »Nein, nicht ganz so weit entfernt«, schmunzelte Wield. »Seine andere Welt war … Dendale.«
    »Das verstehe ich nicht«, meinte Pascoe. »Gut, da hat er gelebt, und ich weiß, daß er nach dem Umzug seiner Mutter so unglücklich war, daß er zur Großmutter zurücklief. Aber es gibt viele Menschen, die so sehr an ihrer Heimat hängen, daß man sie mit Dynamit wegsprengen müßte.«
    »Aus Dendale
hat
man sie mit Dynamit weggesprengt«, sagte Wield trocken. »Natürlich war das für die meisten eine Entwurzelung, aber Wurzeln wachsen in ähnlicher Erde wieder an. Die Mehrheit hat sich hier in und um Danby wieder angesiedelt, und soweit man sehen kann, geht es ihnen ja recht gut. Aber der eine oder andere … na ja, seit ich in Enscombe lebe, sehe ich die Menschen und das, was sie ihre Heimat nennen, aus einer anderen Perspektive. Keiner von uns will da weg. Mir geht es zumindest so, und ich wohne noch nicht mal lang genug da, um mein eigenes Gewicht geschissen zu haben, wie man dort sagt. Aber ich kenne Leute, die man bestimmt nicht entwurzeln kann – höchstens auf Bodenhöhe absägen.«
    »Und Lightfoot war so einer?«
    »Bis zu einem gewissen Grad. Sie kennen doch den Ausspruch ›Hier gehöre ich hin‹.

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