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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Johannisbeerlikör.
    Das Pub war fast leer. Die Frau hinter der Theke hatte Zeit zum Schwatzen. Sie war um die Vierzig und recht kompakt gebaut, das meiste davon Muskeln, die sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit durch ständiges Bierzapfen und Kistenschleppen ausgebildet hatten. Die heiteren Züge ihres runden, hübschen Gesichts wurden augenblicklich skeptisch, als Novello ihren Dienstausweis zückte. Doch als sie den Grund ihrer Nachforschungen angab, machte die Frau ihrer Empörung Luft und sagte: »Ich würd dieses Schwein kastrieren – ohne Betäubung. Und dann am Rest aufhängen! Wie kann ich Ihnen helfen, Herzchen?«
    Novello kam nicht gleich zur Sache. Alles, was sie in der Hand hatte, war der blaue Kombi, und sie würde alle diesbezüglichen Informationen gern ohne direkte Nachfrage bekommen. Ein übergroßer Eifer zur Mithilfe konnte bei Zeugen manchmal ebenso hinderlich sein wie übergroße Schweigsamkeit.
    Zuerst nahm sie die Personalien auf. Die Frau hieß Bella Postlethwaite und hatte das Lokal vor fünf Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Jack gepachtet. Sie ernährten sich mehr schlecht als recht von vorbeifahrenden Autoreisenden.
    »Nicht, daß es hier viele gäbe. Ich mein, seh’n Sie sich um – hier steht nicht grade Haus an Haus, oder? Und von der Gewinnspanne, die uns die Brauerei zugesteht, kriegt man nicht mal ’n Flohzirkus satt. Schweinehunde. Die würd ich manchmal auch gern hängen seh’n.«
    Sie war eine sehr redselige Frau. Novello kam auf den Sonntagmorgen zu sprechen. Bella war früh aufgestanden, Jack wollte ausschlafen. Nein, sie habe nichts Ungewöhnliches bemerkt. Und Gewöhnliches? Tja, gewöhnlich war alles ziemlich beschissen, um es mal in aller Deutlichkeit zu sagen. Ein paar Trecker. Sonst irgendwelche Fahrzeuge? Ja, auf der Hauptstraße, aber nicht viele, weil ja Sonntag war. Und auf der Straße zum Moor? Ja, da sei auch ein Wagen gewesen. Sie hatte vor dem Haus grad ihre Blumenkästen gegossen, während sie noch im Schatten lagen, und da war dieser Wagen von der Moorstraße auf die Hauptstraße abgebogen. War einfach hochgefahren und abgebogen; da war zwar ein Stoppschild, aber man konnte die Hauptstraße gut einsehen, und es war so wenig Verkehr, daß der Wagen nicht anhalten mußte. Welche Marke? Keine Ahnung, Herzchen. Seh’n für mich alle gleich aus. Die Farbe vielleicht? Blau, würde sie meinen. Ja, ganz sicher blau.
    In diesem Moment erschien ihr Ehemann. Er war so dünn, wie sie dick war, knochig, fast mager, spannenlanger Hansel und nudeldicke Dirn. Sobald er sich einmischte, machte er alle Hoffnungen auf brauchbare Informationen von der Frau zunichte.
    »Sie kann unsern Cavalier nicht vom Brauereiwagen unterscheiden, so sieht’s aus«, verriet er Novello.
    Bella jedoch, die ihre diesbezügliche Schwäche bereits freiwillig eingestanden hatte, war nicht gewillt, sie von jemandem herausposaunt zu hören, der nicht genug Fleisch auf den Rippen hatte, um die Bezeichnung »bessere Hälfte« zu verdienen.
    »Wenigstens war ich schon auf und hab nicht meinen Arsch auf der Matratze plattgelegen wie ein gewisser jemand, den ich jetzt nicht nennen will«, konterte sie beleidigt. »Wenn du nicht den halben Samstag damit verbracht hättest, unsern Verdienst zu versaufen, dann wärst du wach genug gewesen, um dieser Lady zu helfen anstatt mich zu beleidigen.«
    So jung sie auch war, hatte Novello doch genug Erfahrung um zu wissen, daß Ehestreitereien nach lang etablierten Schemata verliefen, die, einmal begonnen, nur schwer wieder abzubrechen waren.
    Sie sagte laut und vernehmlich: »Dann war es also kein Cavalier, der am Sonntag vorbeifuhr. Ein größerer Wagen?«
    »Ja, größer«, antwortete Bella und funkelte ihren Mann herausfordernd an.
    »Sehr viel größer? Ein Lastwagen etwa?«
    »Nein. Mit mehr Fenstern.«
    »Dann eine Art Jeep? Sie wissen schon, ein Landrover, wie ihn die Bauern fahren? Ziemlich hoch?«
    »Nein! Der war mehr lang, wie’n Leichenwagen, so ähnlich. So’n Auto, wie Geordie Turnbull fährt.«
    Der letzte Satz war an ihren Mann gerichtet. Vielleicht als Signal für einen Waffenstillstand, weil sie an seine Fachkenntnisse appellierte? Nein, klang irgendwie anders. Eher wie ein Schuß aus dem Hinterhalt.
    »Ach nee, an den kannst du dich natürlich erinnern«, schoß Postlethwaite umgehend zurück.
    »Was für einen Wagen fährt Mr. Turnbull denn?« fragte Novello schnell, ehe beide nachladen konnten.
    »Einen Volvo-Kombi«, erwiderte der Mann.

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