Das Dorf der verschwundenen Kinder
»Tja, und blau ist er auch.«
»Blau? Hellblau oder dunkelblau?« hakte Novello nach.
»Hellblau.«
»Und das Fahrzeug, das Sie gesehen haben, Mrs. Postlethwaite, war das hellblau oder dunkelblau?«
»Eher hell«, meinte die Frau mit einem bösen Seitenblick auf ihren Mann. »Aber es war nicht Geordies.«
»Wie willst du das wissen?« höhnte Postlethwaite. »Alles, was du je genau angeguckt hast, war doch die Decke von seinem Schlafzimmer.«
Von wegen scharfe Geschütze – die beiden gingen jetzt zum Nahkampf über! Bella holte tief Luft und sah aus, als wollte sie ihrem Mann gleich an die Kehle springen. Dann erhaschte sie Novellos flehenden Blick und beschloß, sich dieses Vergnügen für später aufzuheben.
Mit einem vielsagenden Blick auf ihren Mann sagte sie: »Wenn ich ’n Hirn hätte wie deins, würd ich Pilze drauf züchten. Und ich weiß ganz sicher, daß es nicht Geordie Turnbulls Wagen war, weil hinten ein Kind drinsaß.«
Erst nachdem die Worte heraus waren, merkte sie, was sie da gesagt hatte, und in diesem Augenblick änderte sich das Drehbuch von Ehekomödie zu Gesellschaftsdrama.
Zehn Minuten später saß Novello an ihrem Funkgerät und sprach mit Wield in der St. Michael’s Hall.
Er lauschte so angespannt, daß sie es über die Entfernung zu spüren meinte, und fragte im Anschluß an ihren Bericht: »Wie schätzen Sie diese Bella ein?«
»Nicht gerade eine Spezialistin für Automarken. Aber bei Farben weiß sie Bescheid. Ich habe sie nach ein paar vorbeifahrenden Wagen gefragt, und sie konnte blau, schwarz und grün auseinanderhalten.«
»Und das Kind?«
»Hat sie nur ganz kurz gesehen. Ein blondes Mädchen, das hinten aus dem Fenster geguckt hat.«
»Verängstigt? Traurig? Winkend? Oder was?«
»Einfach nur geguckt. Sie hat sonst niemandem im Wagen gesehen und kann nicht sagen, ob noch ein Beifahrer drin saß. Aber was das Mädchen angeht, ist sie sicher.«
»Das fiel ihr aber nicht sofort ein, oder?«
»Das mußte es ja auch nicht. Ich wollte nicht riskieren, sie durch meine Fragen darauf zu bringen.«
Novello beschrieb ihre Befragungsstrategie.
»Gut«, sagte Wield. »Und dieser Typ, Turnbull? Was ist mit dem?«
»Sie behauptet steif und fest, daß es nicht sein Wagen war.«
»Aber sie war es, die als erste von ihm gesprochen hatte.«
»Nur um ihren Mann zu ärgern. So, wie ich das sehe, kommt dieser Turnbull regelmäßig vorbei und hält ein nettes Schwätzchen. Vielleicht haben sie was miteinander, vielleicht ärgert sie sich auch nur über ihren eifersüchtigen Mann. Jedenfalls denke ich, der ist eine Sackgasse. Bella kennt vielleicht keine Automarken, aber sie besteht darauf, daß dieser Wagen neuer und sauberer war als Turnbulls.«
»Selbst in dieser Gegend gibt es so was wie Waschanlagen«, sagte Wield. »Könnte es nicht sein, daß sie ihn nur schützen will, weil sie ihn unbedacht belastet hat?«
»Nein, sie hat am Anfang beschrieben, was sie mit Kerlen machen würde, die Kinder mißhandeln. Ich bin sicher, daß sie niemals jemanden decken würde, der unter diesem Verdacht steht.«
»Aber wenn sie absolut überzeugt ist, daß dieser Turnbull es nicht getan hat … Es wurden schon Männer wegen mehrfachen Mordes verurteilt, während ihre Mütter und liebenden Ehefrauen ihre Unschuld beschworen.«
»Sie meinen, ich sollte ihn mir mal vornehmen«, sagte Novello, unsicher, ob sie sich ärgern sollte oder nicht.
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
»O ja. Der eifersüchtige Jack denkt wohl in Ihren Bahnen, Chef, und bestand darauf, mir eine genaue Wegbeschreibung zu geben. Turnbull leitet ein Abrißunternehmen in Bixford an der Küstenstraße, etwa zehn Meilen von hier. Er wohnt direkt neben seinem Fuhrpark, aber wenn er nicht da sein sollte, könnte ich ihn ganz leicht finden, meinte Jack. Man muß nur nach den Bulldozern Ausschau halten, wo mit fetten roten Buchstaben ›Geordie Turnbull‹ draufsteht und die so langsam fahr’n, daß sie den ganzen Verkehr aufhalten …«
Novello war in eine, wie sie fand, recht gute Imitation der schleppenden Bitterkeit des Pub-Besitzers verfallen, aber Wield schien ihre kleine Vorstellung in keiner Weise zu honorieren.
»Was haben Sie da gerade gesagt?« unterbrach er sie.
»Geordie
Turnbull?«
»Ja, genau.«
»Warten Sie mal.«
Stille. War etwa der Dicke aufgetaucht? Die Stille dauerte an. Novello spielte mit dem Gedanken vorzuschlagen, daß sie Musik einspielen sollten, wenn sie einen in die Warteschleife
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