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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Städterin gegenüber Landbewohnern jeglichen Alters. »Kleine Orte, kleiner Verstand, wie?«
    »Bitte?«
    »Na, Ortschaften wie Dendale«, erklärte sie. »Da herrscht wahrscheinlich so viel Inzucht und Engstirnigkeit, daß es kein Wunder ist, wenn so schreckliche Sachen passieren.«
    »Sie meinen, sie haben es verdient, gewissermaßen?«
    Sein Tonfall verriet nur höfliches Interesse, aber Novello fiel ein, daß Wield inzwischen selbst in der finstersten Provinz wohnte.
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte sie, bemüht, ihren Lapsus wiedergutzumachen. »Nur, wie Sie schon sagten: jede abgeschiedene Gemeinschaft neigt zu starkem Zusammengehörigkeitsgefühl und schiebt lieber alles auf den Außenseiter. Das liegt in der menschlichen Natur.«
    »Ja, stimmt. Und es liegt auch in der menschlichen Natur, sich ein Leben zu wünschen, das genauso schön ist wie der Ort, an dem man wohnt.«
    Das war die persönlichste Äußerung, die Novello je von ihm gehört hatte.
    »Sie klingen, als hätte Ihnen Dendale gut gefallen«, klopfte sie auf den Busch.
    »Gefallen? Tja, das war tatsächlich ein Fleckchen Erde, das einem gut gefallen konnte«, sagte er. »Selbst dann, wenn man das tut, was wir tun. Man kann schließlich nicht immer zur Sonne gucken und eine Finsternis sehen, oder?«
    Das wurde ja immer besser! Ich hätte ein Tonbandgerät mitnehmen sollen, dachte Novello.
    »Sie meinen, daß wir immer die dunklen Seiten der Dinge sehen, oder so?«
    »So ähnlich. Ich kann mich an einen Tag erinnern …«
    Sie wartete. Nach einer Weile jedoch merkte sie, daß sie kein Tonbandgerät brauchte, sondern eine Gedankenlesemaschine.
    … einen Tag, an dem er nichts anderes zu tun gewußt hatte, als den Berg hinauf zur Beulah Height zu gehen. Er rechtfertigte seine Abwesenheit damit, daß er einem Trupp Abrichter folgte, deren Hunde in immer weiteren Kreisen geführt wurden, um eine Spur der vermißten Mädchen zu finden.
    Es war früh am Abend gewesen – der Sonne blieben noch zwei oder drei Stunden, um ihre lange Bahn zu vollenden, doch verbreitete sie bereits jenes besondere glänzende Licht, das alles zu verzaubern schien –, und während er immer höher stieg, spürte er, wie ihm die Last dieses Falls von den Schultern genommen wurde.
    Er stellte sich mit dem Rücken nach Dendale auf den höheren der beiden Gipfel und blickte über etliche Hügel und die Moorlandschaft hinweg. Die Sicht war weit, aber nicht klar. Die Hitze verwischte die scharfen Konturen des Horizonts zu einem verschwommenen goldenen Nebel, und man war versucht zu denken, daß man in diesen goldenen Dunst hineintauchen und durch irgendeinen magischen Prozeß ein Teil davon werden könnte. Selbst als das Blöken der Schafe und das Bellen der Hunde ihn veranlaßte, sich umzudrehen, war er in der Lage, dieses Gefühl noch eine Weile zu bewahren. Zwischen den beiden Berggipfeln fiel eine schroffe Felswand etwa zehn Fuß tief auf eine relativ ebene Torffläche, auf der mittels einer halbrunden Steinmauer ein Schafpferch errichtet worden war. Wield, der die Reiseführer über Dendale ebenso aufmerksam gelesen hatte wie sein Meister, in der verzweifelten Hoffnung, darin etwas zu finden, das Licht auf die Geschehnisse warf, wußte, daß die Mauersteine wahrscheinlich Teil der prähistorischen Festung gewesen waren, die einst auf diesem Berg gestanden hatte. Der Pferch war voller Schafe, und die Collies des Mannes, der sie hergetrieben hatte, wurden beim Herannahen der Suchhunde unruhig.
    Eine Zeitlang war es jedoch möglich, das Bild des Schäfers mit seinem langen, geschnitzten Stab und den Klang der Schafe und Hunde mit dem Gefühl zu verquicken, daß es hier etwas gab, das schon lange existierte und nach den gegenwärtigen Unglücksfällen auch weiter bestehen würde.
    Dann verfielen einer der Suchhunde und ein Collie in ein kurzes, aber lautes Gebalge, der Schäfer und der Abrichter brüllten und zerrten sie auseinander, und auch Wield fühlte sich abrupt in die Gegenwart zurückgezerrt.
    Als er am Schafpferch ankam, war der Suchtrupp bereits weitergezogen. Bestrebt, seine glückselige Stimmung wiederherzustellen, grüßte er den Schäfer freundlich.
    »Wieder ein schöner Tag, Mr. Allgood«, sagte er. »Das richtige Wetter, um hier oben zu sein, würde ich meinen.«
    Mittlerweile kannte er jeden aus dem Tal mit Namen. Dies war Jack Allgood von Low Beulah, ein spindeldürrer Mann mit wettergegerbter dunkler Haut und schwarzem durchdringendem Blick, der den

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