Das Dorf in den Lüften
Monarchen jetzt nicht sehen können, so werden wir schriftlich um eine Audienz bei ihm nachsuchen.
– Sehr schön, erwiderte John Cort, doch wenn diese Unmenschen auch sprechen, glaube ich kaum, daß sie sich schon zum Lesen und Schreiben aufgeschwungen haben. Noch in wilderem Zustande, als die Eingebornen des Congo oder des Sudan, als die Funds, die Chilus, die Denkas und die Monbuttus, scheinen sie mir noch nicht civilisiert genug zu sein, ihre Kinder in eine Schule zu schicken.
– Das möchte ich doch etwas bezweifeln, John. Doch wie wollen wir uns überhaupt diesen Leuten, deren Sprache wir nicht kennen, schriftlich mittheilen?
»Da ist es,« sagte Llanga. (S. 186.)
– Richtig; lassen wir uns lieber von dem Kleinen weiter führen, sagte Khamis.
– Ist Dir nicht die Hütte seines Vaters und seiner Mutter bekannt? fragte John Cort den jungen Eingebornen.
– Nein, lieber Freund John, antwortete Llanga. Doch… ohne Zweifel… Li-Maï wird uns dahin führen. Wir müssen ihm folgen.«
Damit trat er an das Kind heran und zeigte mit der Hand nach links.
»Ngora?… Ngora?«… sagte er.
Man sah, daß das Kind ihn verstand, denn es senkte den Kopf und hob ihn lebhaft wieder empor.
»Das beweist, sagte John Cort, daß das Zeichen für eine Verneinung und eine Bejahung ein instinctiver Ausdruck und als solcher bei allen Menschen der nämliche ist… ein weiterer Beweis, daß diese Urmenschen der übrigen Menschheit ungemein nahe stehen.«
Wenige Minuten später kamen die Besucher nach einem tiefer beschatteten Theile des Dorfes, wo die Wipfel der Bäume dicht untereinander verschlungen waren.
Li-Maï blieb vor einer sauberen Hütte stehen, deren Dach mit den breiten Blättern der Ensete, einer in dem großen Walde weit verbreiteten Banane, bedeckt war, mit denselben Blättern, die der Foreloper für das Sonnendach des Flosses verwendet hatte. Eine Art Stampferde bildete die Wände der Hütte, in die eine, augenblicklich offen stehende Thür hineinführte.
Li-Maï wies Llanga mit der Hand danach hin, und dieser erkannte sie sofort wieder.
»Da ist es,« sagte er.
Das Innere bildete einen einzigen Raum. Im Hintergrunde befand sich eine Lagerstätte aus trockenem Gras, das leicht zu erneuern war. In einer Ecke dienten einige größere Steine als Herd, auf dem jetzt mehrere Zweige in Brand standen. Von sonstigem Geräthe sah man nur zwei oder drei Kürbisflaschen, eine mit Wasser gefüllte irdene Schale und zwei irdene Töpfe. Bis zu Gabeln hatten es die Waldmenschen noch nicht gebracht, sie aßen einfach mit den Fingern. Da und dort zeigten sich auf einem an der Wand befestigten Brette verschiedene Früchte, eßbare Wurzeln, ein Stück gekochtes Fleisch, nebst einem halben Dutzend, für die nächste Mahlzeit bereits gerupfter Vögel, und, an Dornen aufgehängt, mehrere Stücke Stoff aus Rinde und Aguliegewebe.
Ein Wagddi und eine Wagddierin erhoben sich sofort, als Khamis und seine Begleiter in die Hütte eintraten.
»Ngora!… Ngora!… Lo-Maï… la Maï!« rief das Kind.
Und als ob er glaubte, besser verstanden zu werden, setzte er noch hinzu:
»Vater… Vater!«
Er sprach das Wort, wenn auch sehr schlecht, deutsch aus. Doch, wie seltsam ein Wort aus dieser Sprache von einem Wagddi aussprechen zu hören!
Kaum eingetreten, ging Llanga auf die Mutter zu, und diese breitete die Arme aus, drückte ihn an sich, liebkoste ihn mit der Hand und gab durch alles dem Retter ihres Kindes ihre Dankbarkeit zu erkennen.
John Cort hatte bei dem Besuche folgende Beobachtungen gemacht:
Der Vater war ein ziemlich großer Mann, gut gewachsen und von kräftigem Aussehen; seine Arme erschienen etwas länger als gewöhnlich die der Menschen, die Hände waren groß und stark, die Beine leicht gebogen, und die Fußsohlen standen ihrer ganzen Länge nach auf dem Boden.
Er zeigte die ziemlich helle Hautfarbe der eingebornen Stämme, die sich mehr von Fleisch als von Pflanzen nähren, einen flockigen kurzen Bart, schwarzes Kraushaar und eine Art Flaum, der den ganzen Körper bedeckte. Sein Kopf war von mittlerer Größe, die Kiefer standen nur wenig vor und seine Augen mit glänzender Pupille hatten einen lebhaften Ausdruck.
Die Mutter erschien fast graziös, mit ihren einnehmenden, sanften Zügen, ihrem Blick, der eine warme Liebe verrieth. Dazu hatte sie wohlgeordnet stehende Zähne von blendender Weiße, und – bei welcher Vertreterin des schwächeren Geschlechts träfe man gar nichts von Koketterie? –
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