Das Dorf in den Lüften
Maus zu Grunde gegangen sei.
Die Frage, ob Khamis und seine Gefährten als Gefangene in der Hütte eingesperrt bleiben sollten, fand da fast augenblicklich ihre Entscheidung. Eben schwengte die Thür an ihren Lianenbändern zurück und Li-Maï erschien in der Oeffnung.
Zunächst ging der Kleine auf Llanga zu und überhäufte ihn mit Liebkosungen, die dieser gutherzig erwiderte. John Cort fand dabei Gelegenheit, sich das seltsame Geschöpfchen näher anzusehen. Da die Thür aber offen blieb, schlug Max Huber vor, hinauszugehen und sich unter die Luftbewohner zu mischen.
Zwei wachhabende Wagddis stellten sich, ihre Waffen schwingend, vor die Thür. (S. 184.)
Jetzt befanden sie sich also im Freien und wurden von dem kleinen Wilden – so durfte man ihn wohl nennen – der seinen Freund Llanga an der Hand hielt, geleitet. Sie sahen sich an einer Art Straßenkreuzung, über die viele Wagddis, »ihren Geschäften nachgehend«, von allen Seiten hineilten.
Der Platz war mit Bäumen bepflanzt, oder vielmehr von deren Kronen beschattet, während die Stämme das merkwürdige Bauwerk in der Luft trugen. Dieses selbst ruhte, etwa hundert Fuß über der Erde, auf den Hauptästen mächtiger Bauhinias, Wollbäume und Baobabs. Auf fest mit Pflöcken und Lianen verbundenen Planken war eine Lage festgestampfter Erde ausgebreitet, und da deren Unterstützungspunkte sehr haltbar und zahlreich waren, bewegte sich der künstliche Boden unter dem Fuße nicht im geringsten. Selbst wenn heftige Stürme durch die hohen Wipfel brausten, erlitt die ganze Anlage kaum eine leise Erschütterung.
Durch die Lücken im Laubwerke brachen die Sonnenstrahlen herein; gerade heute war das Wetter sehr schön. Breitere Stücke blauen Himmels wurden hinter den untersten Zweigen sichtbar. Eine mit starkem Dufte geschwängerte Brise erfrischte die Luft.
Während die Gruppe der Fremden dahinwandelte, betrachteten sie die Wagddis, Männer ebenso, wie die Frauen und Kinder, ohne besonderes Erstaunen. Diese wechselten mit einander im raschen Tone nur einzelne Worte oder schnell herausgestoßene, kurze, völlig unverständliche Sätze. Der Foreloper glaubte darunter zuweilen einige congolesische Ausdrücke zu vernehmen, was ja kaum zum Verwundern war, da Li-Maï wiederholt das Wort »Ngora« ausgesprochen hatte. Immerhin blieb die Sache unerklärlich. Noch mehr aber: John Cort hörte sogar zwei oder drei deutsche Wörter, darunter das Wort »Vater«, und er unterrichtete seine Genossen von dieser auffallenden Beobachtung.
»Ja, was willst Du denn, lieber John? antwortete Max Huber. Ich erwarte sogar, daß einer dieser Burschen mir auf den Bauch klopft und mich dazu – in französischer Sprache – fragt: »Na, wie geht’s denn, Alterchen?«
Von Zeit zu Zeit ließ Li-Maï Llangas Hand los und lief wie ein lebhaftes, lustiges Kind zu dem einen und dem anderen hin. Er schien sehr stolz darauf zu sein, die Fremden durch die Straßen des Dorfes führen zu können. Das that er offenbar nicht ohne Zweck und Ziel, sondern geleitete sie mit Berechnung hier und dort hin so daß man gar nichts besseres thun konnte, als dem fünfjährigen Führer zu folgen.
Die Urmenschen – wie John Cort die Leute hier bezeichnete – gingen nicht völlig nackt. Abgesehen von dem rothbraunen Flaum, der ihren Körper theilweise bedeckte, trugen Männer und Frauen eine Art Schurz aus Pflanzenstoff, zwar gröber gearbeitet, doch im übrigen ähnlich den Geweben aus Akazienfasern, die in Porto Novo, einem Hafen Dahomeys, in großer Menge angefertigt werden.
Was John Cort besonders auffiel, war die Thatsache, daß die ziemlich runden, die Größenverhältnisse des mikrocephalischen Typus mit dem des Menschen sehr nahe kommenden Gesichtswinkel zeigenden Köpfe der Wagddis sehr wenig von Prognathismus erkennen ließen. Die Augenbrauenbogen traten auch nicht so bemerkbar hervor, wie bei allen Affenarten. Das Kopfhaar bildete ein glattes Vließ, wie bei den Eingebornen von Aequatorialafrika, und der Bart war nur ganz schwach entwickelt.
»Und kein zum Greifen geschaffener Fuß, bemerkte John Cort.
– Auch kein Schwanzanhang, setzte Max Huber hinzu, keine Spur davon!
– Ja wirklich, antwortete John Cort, und das ist schon ein Zeichen von höherer Entwicklung. Die anthropomorphen Affen haben weder einen Schwanz, noch Backentaschen oder Schwielen. Sie bewegen sich nach Belieben aufrecht stehend oder auf allen vieren. Hier ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß die aufrecht
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