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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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schon schräg stehende Sonne reflektierte das Licht in den kleinen Restflächen Wasser, die sich auf dem geriffelten Meeresboden gehalten hatten. Es sah aus, als wären dort Brillanten verstreut, mit denen die Oktobersonne spielte.
    Christoph sog tief die würzige Seeluft ein. O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben! O welche Lust! Nur hier, nur hier ist Leben. Er summte leise die Melodie aus dem »Gefangenenchor«.
    Â»Eh«, rief ihn Große Jäger in die Gegenwart zurück. »Du bist hier nicht zur Kur. Deine Einlage an Popmusik kannst du zu anderer Zeit von dir geben.«
    Â»Ignorant«, erwiderte Christoph. »Das war keine Popmusik, sondern Beethovens ›Fidelio‹.«
    Â»Mit Beethoven hast du nichts gemeinsam«, entgegnete der Oberkommissar. »Du bist nicht so musikalisch. Außerdem hörst du auf mich. Beethoven war taub.«
    Â»Dem ist manches erspart geblieben«, sagte Christoph lachend.
    Er hörte, dass Große Jäger mit der Husumer Dienststelle sprach und Hilke Hauck bat, Erkundigungen einzuziehen, welches Fahrzeug auf Michael Witte zugelassen war. Er selbst telefonierte mit der Staatsanwaltschaft und ließ sich mit Oberstaatsanwalt Dr. Breckwoldt verbinden. Er wollte dem Flensburger den Vorgang schildern, aber Dr. Breckwoldt unterbrach ihn.
    Â»Herr Jürgensen hat mich bereits ins Bild gesetzt. Das Ganze gibt ein diffuses Bild ab. Ich kann Ihren Bedenken folgen, dass ein Unfall unwahrscheinlich klingt. Darüber wäre ein Krankenhaus informiert, der Rettungsdienst, Ärzte. Wie wollen Sie vorgehen?«
    Â»Wir müssen die Suche nach Michael Witte ausdehnen und herausfinden, wo der Mann sich zuletzt aufgehalten hat. Wir kennen den Namen des Kieler Hotels nicht. Nach Auskunft seiner Frau soll er sich dort aber gelegentlich aufgehalten haben. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man in der Regel dasselbe Hotel aufsucht, wenn man öfter an einen bestimmten Ort reist. Deshalb möchte ich die Genehmigung, in die Kreditkartenabrechnung und auf das Konto sehen zu dürfen.«
    Â»Können Sie nicht die Angehörige fragen?«, antwortete Dr. Breckwoldt.
    Â»Das wäre der einfachste Weg. Aber die Frau hatte einen Nervenzusammenbruch. Und ich möchte nicht zu lange warten.«
    Â»Ich werde es veranlassen«, erklärte der Oberstaatsanwalt.
    Große Jäger hatte sein Telefonat ebenfalls beendet.
    Â»Tante Hilke kümmert sich um das Auto«, sagte er. Dann zeigte er aufs Watt. »Statt solchen Dingen nachzugehen, sollten wir ernsthaft den Typen jagen, der zweimal am Tag den Stöpsel zieht und das Wasser aus der Nordsee ablaufen lässt.« Er legte den Zeigefinger gegen die Schläfe, als müsse er überlegen. »Vielleicht hat Klaus Jürgensen doch recht und das Wasser hat sich vor Schreck zurückgezogen, als der erste Nordfriese über den Deich sah. Jetzt kommt es zweimal am Tag und guckt, ob die Einheimischen noch da sind.«
    Â»Das war aber kein Nordfriese, der dort über die Deichkrone geblinzelt hat, sondern ein Münsterländer.«
    Große Jäger ballte die Faust und hielt sie Christoph entgegen. »Sag nichts gegen uns. Wir haben schon Schlösser gebaut, als ihr noch mit Dschunken unterwegs wart.«
    Â»Mit der Isolierung hat das aber nicht geklappt«, widersprach Christoph. »Das sind alles Wasserschlösser geworden.«
    Â»Du beleidigst meine Landsleute«, rief der Oberkommissar und ging auf Christoph zu. Ehe der reagieren konnte, hatte ihn Große Jäger umarmt und versuchte, ihn hochzuheben. Christoph wehrte sich, sodass sie ins Straucheln kamen und umfielen. Erst nachdem sie ineinander verschlungen ein Stück den Deich heruntergerollt waren, blieben sie auf dem Rücken liegen.
    Christoph konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in so einer Weise ausgelassen war. Es tat gut, sich den Stress von der Seele zu rollen.
    Sie klopften sich gegenseitig den Schmutz von der Kleidung. Jetzt sehe ich ein wenig wie Große Jäger aus, dachte Christoph, als er an sich herabsah. Sie überquerten die nur mäßig befahrene Landesstraße und kehrten zum Volvo zurück. Dort empfing sie Biesterfeldt.
    Â»Muss das sein? Können Sie Ihre Karre nicht woanders abstellen?«
    Große Jäger ging direkt auf den Landwirt zu, der vorsichtshalber zwei Schritte rückwärts machte. Der Oberkommissar ergriff mit beiden

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