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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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Menschen hinterm Deich ein, da ich offensichtlich auch von schlichtem Geist bin. Die Einheimischen achten sehr auf den Erhalt der wundervollen Natur auf Eiderstedt. Das hier könnte man als optische Umweltverschmutzung begreifen.«
    Gaultier stieg die Zornesröte ins Gesicht. Er sah Christoph an.
    Â»Muss ich mir so etwas anhören?«
    Â»Mein Kollege hat eine andere Vorstellung von bildender Kunst«, versuchte Christoph, den aufgebrachten Maler zu beruhigen. »Als Intellektueller können Sie auch Toleranz gegenüber Andersdenkenden üben.«
    Ganz beruhigt schien Gaultier nicht zu sein. Ihm war anzumerken, dass es ihm schwerfiel, sich erhaben über das Geplänkel zu zeigen.
    Â»Sie haben Streit mit Michael Witte gehabt?«
    Â»Wer sagt das? Tsss.« Gaultier bewegte heftig den Kopf.
    Â»Wir sprachen vorhin über die Transparenz des dörflichen Lebens.«
    Â»Ich würde es anders nennen. Hier zerreißt man sich wegen Nichtigkeiten das Maul.«
    Der Maler knetete seine schlanken Hände.
    Â»Um was ging es bei dieser Auseinandersetzung?«
    Â»Um nichts.«
    Â»Das ist kein Grund für einen Streit. Schließlich sind Sie beide keine Typen, die sich wegen Banalitäten prügeln.«
    Â»Witte war jemand …«
    Â»War?«, fuhr Große Jäger dazwischen.
    Gaultier riss die Augen weit auf. »Das sagt man so.«
    Der Oberkommissar machte einen Schritt auf den Maler zu. »Sie haben vorhin behauptet, ich sei blöd. Mag sein. Aber bis zum Abitur habe ich es geschafft. Und als ich zur Schule ging, galt war als Imperfekt, also Vergangenheit.«
    Â»Ist das ein Verhör? Wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt?«
    Â»Wir informieren uns«, sagte Christoph in betont ruhiger Tonlage. »Sie wollten von Michael Witte berichten.«
    Der Maler schluckte. Er drückte das Kreuz durch und begann von Neuem: »Witte ist nicht so schnell im Denken. Er wirkt sehr emotional und hat sich nicht unter Kontrolle.«
    Große Jäger ließ ein verächtlich klingendes Lachen hören. »Wir sprechen über einen Nordfriesen. Und Sie wollen ihm emotionalen Überschwang unterstellen. Hah!«
    Â»Ich wollte … Sie verstehen mich nicht.« Gaultier war aus dem Konzept geraten. Er unterstrich jedes seiner Worte mit lebhaften Handbewegungen. »Wenn andere einen kühlen Kopf bewahren oder nicht jedes Gerücht glauben, prescht Witte erst einmal los.«
    Â»Er ist auf Sie losgegangen.«
    Â»Das war völlig überraschend. Ich hatte nicht damit gerechnet.«
    Â»Warum haben Sie keine Anzeige erstattet?«
    Der Maler zeigte sich überrascht. »Da hätten Sie viel zu tun, wenn Ihnen wegen jeder Lappalie eine Anzeige eingereicht wird.«
    Â»Um was ging es dabei?«
    Â»Um nichts«, wiegelte Gaultier wieder ab.
    Â»Man munkelt, dass Witte heftig zugeschlagen hat.«
    In Gedanken rieb sich Gaultier die Brust oberhalb des Herzens.
    Â»Hat er Sie da erwischt?«, riet Christoph.
    Â»Nur ein blauer Fleck.«
    Â»Das war er seiner Frau schuldig?«
    Â»Gesine?« Der Maler stutzte. »Wer hat Ihnen das erzählt?« Gaultier hatte nicht mitbekommen, dass er sich soeben verraten hatte.
    Â»Sie hatten ein Verhältnis mit Frau Witte?«
    Â»Pahh!« Gaultier prustete. »Was nennen Sie ›Verhältnis‹? Das ist ein spießiger bürgerlicher Ausdruck. Dein. Mein. Besitzansprüche. Kann man etwas wirklich besitzen? Gibt es gar Ansprüche an einen Menschen? Mich kotzt es regelmäßig an, wenn jemand meine Frau sagt.«
    Â»Und deshalb nehmen Sie sich das Recht heraus, in eine Ehe einzudringen?« Christoph war ein wenig lauter geworden.
    Â»Alles Humbug. Leeres Gerede. Ich mach mich doch nicht zum Gespött der Leute.« Er streckte Christoph den Arm entgegen. »Da sehen Sie, welche Absurditäten die Langeweile hier hinterm Deich gebiert.«
    Â»Ein besonnener Mann wie Witte schlägt nicht grundlos zu«, erklärte Christoph. Gaultier entging, dass es in Christophs Worten klang, als würde er von Tatsachen sprechen, die auf Wissen beruhten.
    Â»Der hätte keine Sorge haben müssen. Ich hätte ihm die Gesine nicht abgenommen. Sie können selbst nachsehen. An der ist kein Kratzer. Jedenfalls nicht von mir. Blicken Sie mal aus dem Fenster. Auf der einen Seite die Marsch. So weit das Auge reicht: Marsch. Und auf der anderen Seite: der Deich. Er begrenzt den Blick. Sie

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