Das Dorf in der Marsch
Händen Biesterfeldts Rechte und schüttelte sie heftig.
»Danke, Kumpel«, sagte er, »dass du in der Zwischenzeit, während wir auf Täterjagd waren, auf das Staatseigentum aufgepasst hast.« Dabei nickte er in Richtung des Volvos. »Das Land wird dir ewig dankbar sein.«
Biesterfeldt starrte ihn mit offenem Mund an.
»Ach ⦠Noch etwas. Wo wohnt Klecksel?«, schob GroÃe Jäger hinterher.
»Gaultier?« Biesterfeldt sprach den Namen deutsch aus. »Gaul« und »Tier«. »Der wohnt linksrum. Nee, rechts.«
»Ja, was denn nun? Links? Rechts? Oben? Unten?« GroÃe Jäger schwenkte seine Arme in der Luft, als er in den Volvo stieg.
FÃNF
Christoph vertraute seinem Glück und bog links ab. Ein paar hundert Meter weiter fanden sie das Haus des Malers. Ein an der StraÃe stehendes Holzschild wies darauf hin. So wie anderenorts angezeigt wird, ob die »Ferienwohnung« belegt ist, war der Hinweis »Atelier geöffnet« zu sehen.
Auch hier waren Blumen gepflanzt. Ein Meer orangefarbener Tagetes rahmte das ein wenig windschief wirkende Reetdachhaus ein. Die Fenster hingen förmlich in den Angeln, die Rahmen waren notdürftig mit grüner Farbe übertüncht.
»Maler soll der sein?«, lästerte GroÃe Jäger. »An den Fenstern erkennt man das aber nicht.«
Statt einer Türklingel fanden sie einen aus schmalen Lederstreifen geknüpften, mit Glasperlen verzierten Strick, der über einer Umlenkrolle durch eine Ãffnung ins Hausinnere verschwand. Darunter war ein Keramikschild angebracht: »Atelier Gaultier«.
»Ob der Gaul in seinem Stall ist?«, fragte der Oberkommissar und zog an dem Strick. Im Inneren setzte sich eine, so schien es vom Klang her, Kirchenglocke in Bewegung. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und ein hagerer Mann mit Glatze und Seehundbart öffnete die Tür.
»Ist doch offen, Kinder«, sagte er zur BegrüÃung mit einer überraschend hohen Stimme. »Steht doch drauÃen dran.«
»Herr Gaultier?«, fragte Christoph und zückte seinen Dienstausweis. »Polizei Husum.«
»Wegen dem Witte?«
Gaultier musste nichts erklären. Er kam aus Hamburg. Nicht nur seine Sprachfärbung war unverkennbar.
Christoph nickte.
»Das ist ja unfassbar. So ein Ende hätte ich ihm nicht gewünscht.«
»Ein anderes?«, hakte Christoph sofort nach.
»Wir waren keine Busenfreunde, aber auf diese Art? Nein. Entsetzlich.«
Der Künstler fasste sich mit der rechten Hand an den Kopf. Dabei legte er die ganze Hand mit gespreizten Fingern auf die glänzende Oberfläche. Plötzlich schien er sich besonnen zu haben.
»Habt ihr Fragen? An mich? Hach. Ich kann doch nichts sagen. Ich bin nicht von hier, gehöre nicht dazu.«
»Sie kennen aber die Einheimischen?«, fragte Christoph.
»Die Eingeborenen aus dem Kral?« Er hatte die Stimme gesenkt, als befürchtete er, gehört zu werden. Dann trat er einen Schritt zurück und öffnete die Tür ganz. »Kommt doch rein. Bei mir ist noch nie einer drauÃen geblieben.«
Er führte sie durch die Diele, in der nach Christophs Auffassung merkwürdige Dinge standen, die er weder identifizieren noch zuordnen konnte. Er war froh, dass GroÃe Jäger, dessen ebenfalls kritischen Blick er streifte, nicht nach dem Sinn des »Gerümpels« fragte.
Gaultier musste etwas bemerkt haben.
»Ist das nicht wunderbar?«, fragte er und zeigte auf eine auf zerknitterter Alufolie stehende leere Bierkiste, in der aus verrosteten Stahlstangen und starkem Draht das Geäst eines Baumes nachgebildet war. Ãber die Enden der »Ãste« waren leere Flaschen gestülpt: Wein, Champagner, Cognac. Den Stamm hatte der Künstler mit Kopien von im Halbdunkel abgelichteten Fotos nackter Frauen und Männer ummantelt. An den Zweigen hingen grob mit einer Laubsäge ausgeschnittene Notenschlüssel.
»Ein groÃer Geist vermag, in einem solchen Werk das ganze Leben zu versinnbildlichen«, erklärte Gaultier. »Sie haben die drei Dinge, die uns bei richtiger Einstellung durch das irdische Jammertal führen. Der Rost an den Stäben steht ebenso wie die leeren Flaschen für das Vergängliche.«
»Ich vermisse eine Hanfpflanze, die leere Heroinspritze, das Papierröllchen zum Ziehen einer Kokain- Line .«
»Das müssen Sie doch am besten wissen, wie
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